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Das Echo der Schuld

Das Echo der Schuld

Titel: Das Echo der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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hatte gelächelt. Sie hätte ihm am liebsten gesagt, er solle verschwinden, aber aus irgendeinem Grund kamen ihr diese Worte nicht über die Lippen. Also ging sie zu ihrem Auto und ließ ihn auch noch allein in ihrem Haus zurück, als sei er ein Mensch, den sie seit Jahren kannte, dem sie bedingungslos vertraute.
    Wer weiß, was er diesmal aus den Schubladen fischt, dachte sie, während sie den Wagen über die Landstraße steuerte. Wenn sie ihn schon nicht fortschickte, hätte sie ihn wenigstens mitnehmen müssen. Aber um nichts in der Welt hätte sie mit ihm in einem Auto sitzen mögen. Für den Moment wollte sie so viel Abstand wie möglich.
    Dass er ausgerechnet das Foto aus Rom gefunden hatte, war natürlich nichts als ein dummer Zufall, aber es hatte sie erschüttert. Sie hatte gar nicht mehr gewusst, wo sich ihre Bilder von früher eigentlich befanden, hatte ihr Vorhandensein irgendwie verdrängt. In einer Schublade im Gästezimmer also … Bei nächster Gelegenheit würde sie sie nehmen und zum Müll werfen, natürlich ohne sie noch einmal einzeln anzusehen. Im Wohnzimmer hatte sie eine lange Reihe ledergebundener Fotoalben stehen, ordentlich mit den ihren Inhalt betreffenden Jahreszahlen beschriftet und manchmal auch mit einem Hinweis auf das, was sie enthielten, versehen. Ostern auf Skye 2001 etwa oder: Fünfter Geburtstag Kim. Auf dem ersten Album stand: Hochzeit Frederic/Virginia 1997. Mit der Hochzeit begann die Serie. Aus der Zeit davor gab es keine Alben. Offiziell auch keine Bilder. Wenn irgend möglich nicht mal eine Erinnerung.
    Außer es kam jemand wie Nathan daher, der stöberte und suchte, forschte und Fragen stellte, die an Indiskretion nicht mehr zu überbieten waren.
    Sie war viel zu früh losgefahren, nur um Nathan zu entgehen. Um halb vier sollten die Kinder abgeholt werden, und es würde nur Verärgerung auslösen, wenn sie allzu zeitig hineinplatzte. Sie hatte ebenfalls schon Partys für Kim veranstaltet und wusste, wie die Eltern dabei beansprucht wurden, auch ohne dass noch jemand erschien und das Programm durcheinanderbrachte. Kurz überlegte sie, dass sie noch rasch Livia besuchen könnte, aber dann hatte sie Angst, dass auch Nathan dort aufkreuzen würde.
    Ich fange schon an, Haken zu schlagen wie ein Hase, dachte sie, und das alles wegen eines Mannes, den ich bis vor kurzem überhaupt nicht kannte. Ich sollte ihn zum Teufel schicken.
    Sie hielt irgendwo an und zog sich Zigaretten aus einem Automaten. Sie hatte seit Ewigkeiten nicht mehr geraucht – seit sie Frederic kannte, genau genommen, denn er mochte es nicht, wenn Frauen rauchten –, aber plötzlich verspürte sie ein ungeheures Bedürfnis nach einer Zigarette. Im Wagen war es ihr zu heiß, und so ging sie auf der Straße auf und ab und rauchte hektisch. Eine etwas schmuddelige Gegend, Wohnblocks, die ungepflegt und trostlos wirkten, verschönert nur durch den strahlend blauen Augusthimmel und die warme Sonne. Ein paar Geschäfte, eine Reinigung, die so gammelig wirkte, dass man sich nicht vorstellen mochte, Kleider dort abzugeben. Alles sonntäglich ausgestorben.
    Von irgendwoher dudelte Radiomusik.
    Virginia empfand ein Gefühl der Beklemmung, das sie sich mit der ungewohnten Situation erklärte. Für den Moment war es, als sei sie eine andere. Nicht Virginia Quentin, die Frau des reichen Bankiers Frederic Quentin, der vielleicht demnächst eine herausragende Persönlichkeit in der politischen Szene seines Landes darstellen würde. Virginia Quentin mit dem Herrenhaus, dem großen Park, dem Verwalterehepaar. Mit dem Ferienhaus auf Skye und der Wohnung in London. Diese Virginia Quentin verirrte sich für gewöhnlich nicht in den heruntergekommenen Gegenden der Stadt. Sie stand nicht auf irgendeinem Bürgersteig herum und rauchte. Ihr Leben verlief in Bahnen, die dies gar nicht zuließen.
    Um dem allen die Krone aufzusetzen, warf sie ihre zu Ende gerauchte Zigarette auf den Asphalt, trat sie mit dem Absatz ihres teuren Schuhs aus und zündete sich die nächste an.
    Die Frage, die Nathan ihr zuletzt gestellt hatte, dröhnte plötzlich wieder in ihrem Kopf. Wohin ist diese wilde, lebendige Frau verschwunden? Und warum?
    Die verschwundene Frau hatte geraucht. Sie hatte sich in Vierteln herumgetrieben, in die sich ein anständiges Mädchen keinesfalls begeben sollte. Sie hatte Haschisch und Kokain ausprobiert, sie hatte manchmal zuviel Alkohol erwischt, und es war vorgekommen, dass sie in fremden Betten neben fremden Männern

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