Das Echo der Schuld
gekocht, er hatte am Tisch gesessen und zugesehen, aber das hatte sie nicht gestört. Sie mochte es nicht so gern, wenn sich Fremde in ihrer Küche zu schaffen machten. Er hatte von seinem Schiff erzählt und dabei eine Menge Fachausdrücke verwendet, die sie nicht kannte. Als sie zu essen begannen, hatte sie nach dem gefragt, was sie wirklich interessierte.
»Sie sagten, Sie seien Schriftsteller. Was schreiben Sie denn?« »Kriminalromane.«
»Oh …? Wirklich? Das finde ich … ich lese sehr gern Kriminalromane.«
Er hatte von seinem Teller aufgesehen. »Sie kochen sehr gut, Virginia. Ich habe lange nichts mehr gegessen, das mir so geschmeckt hat.«
»Das liegt nur daran, dass Sie halb verhungert waren. Im Moment würde Ihnen alles schmecken.«
»Nein. Das glaube ich nicht.« Abrupt wechselte er wieder das Thema. »Viele Menschen lesen gern Kriminalromane. Zum Glück für mich.«
»Dann sind Sie ein erfolgreicher Schriftsteller?«
»Das kann man so sagen. Ja.«
»Aber Sie werden nicht ins Englische übersetzt?«
»Leider nicht. Und deutsch können Sie wohl nicht lesen?«
»Nein.« Sie lachte. »Nicht ein einziges Wort.«
Sie wollte etwas fragen und überlegte noch, wie sie ihre Frage formulieren sollte, da hatte er in seiner beunruhigend hellsichtigen Art schon wieder erraten, worüber sie nachdachte.
»Sie denken, als ein erfolgreicher Schriftsteller könnte ich jetzt doch nicht so völlig pleite sein, nicht?«
Sie hatte verlegen mit den Schultern gezuckt. »Na ja, ich …«
»Wissen Sie … ich bin leider nicht der Mensch, der sich großartige Gedanken um die Zukunft macht. Ich habe immer im Hier und Jetzt gelebt. Was ich verdiente, gab ich aus. Reisen, schöne Hotels, Geschenke für Livia, tolle Restaurants … Das Geld kam und ging. Und … nun, was wir dann tatsächlich noch hatten, haben wir in den Kauf des Schiffs gesteckt, das jetzt da oben im Norden irgendwo auf dem Meeresgrund liegt. Wir hatten vor, auf dieser Reise von Gelegenheitsjobs zu leben. Für den Notfall hatten wir Schmuckstücke dabei, die wir hätten verkaufen können. Die sind natürlich auch weg.«
» Diese Weltumsegelung …«
»… sollte in ein Buchprojekt münden.«
»Auch ein Kriminalroman?«
»Ja.«
»Aber Ihre Bücher sind in Deutschland doch lieferbar? Dann …«
Er war so freundlich, ihr auch diese etwas unangenehme Frage abzunehmen. »Dann bekomme ich auch wieder Geld, ja. Virginia, es ist ja nicht so, dass ich für alle Zeiten am Ende bin. Aber wir haben im Moment kein Haus, keine Wohnung, keine Möbel. Und völlig leer geräumte Bankkonten. Die werden sich wieder füllen, aber nicht von heute auf morgen.«
Völlig leer geräumte Bankkonten … Sie konnte sich vorstellen, was Frederic zu einer so leichtsinnigen Verhaltensweise gesagt hätte. Es war wirklich ein Glück, dass er an diesem Wochenende nicht da war.
Nathan war nach dem Essen gleich schlafen gegangen. Sie hatte ihm ansehen können, wie müde er war. Er hatte sich kaum noch auf den Beinen halten können, seine Augen waren gerötet gewesen.
Jetzt, etwa fünfzehn Stunden später, war er ein völlig neuer Mensch. Ausgeruht und entspannt. Seine tief gebräunte Haut wirkte nicht mehr so fahl wie am Vortag.
»Ich habe lange nicht mehr so tief geschlafen«, sagte er nun, »eigentlich seit dem Unglück nicht mehr.«
Sie stellte eine Tasse mit Kaffee vor ihn hin, setzte sich ihm gegenüber. »Ich freue mich, dass es Ihnen besser geht. Werden Sie heute Livia besuchen?«
»Ich fahre nachher zu ihr, ja. Mögen Sie mitkommen?«
»Ich muss meine kleine Tochter von einer Geburtstagsfeier abholen«, sagte Virginia bedauernd, »ich dachte, ich besuche Livia vielleicht morgen.«
»Schön. Das wird sie freuen.« Er sah sich in der Küche um. »Was machen Sie hier so den ganzen Tag, Virginia? Noch dazu, wenn Ihr Mann nicht da ist? Sie sind eine fantastische Köchin, wie ich Ihnen gestern schon sagte, aber Sie verbringen doch sicher nicht all Ihre Zeit hier in der Küche?«
Die Frage überraschte sie. Sie überlegte kurz, ob sie sie als zu indiskret empfand. In Nathans Augen las sie freundliches Interesse.
»Nicht hier in der Küche, nein. Aber ich bin viel daheim. Im Haus, im Park. Ich bin gern hier.« »Zusammen mit Ihrer Tochter.«
»Ja. Kim braucht mich. Gerade, weil ihr Vater so selten zu Hause ist.«
»Ihr Mann ist Politiker?«
Sie war erstaunt, dass er das wusste. »Er engagiert sich in der Politik. Woher …?«
»Im Zug hierher las ich etwas über ihn
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