Das Echo der Schuld
getroffen hatte. Im Schreibwarenladen, als sie sehnsüchtig und unschlüssig vor den Einladungskarten gestanden hatte. Er hatte sie angesprochen. War so richtig nett gewesen. Und sie hatte das Gefühl gehabt, dass er sie wirklich verstand. Er schien auf ihrer Seite zu stehen, ohne dass er Mum schlecht gemacht hatte – was sie ihm auch nie erlaubt hätte.
»Aber das ist doch ganz natürlich, dass du eine Geburtstagsparty veranstalten möchtest«, hatte er gesagt. »Jedes kleine Mädchen, das ich kenne, möchte das! Und diese Einladungskarten hast du dir ausgesucht? Ich muss sagen, die sind wirklich wunderhübsch!«
Er hatte so freundlich ausgesehen. Nett und warmherzig und verständnisvoll. Sie überlegte seither immer wieder, ob er wohl Kinder hatte. Sie fand, dass er eigentlich Kinder haben musste. Er hatte etwas von einem Daddy. Ein bisschen kumpelhaft, und trotzdem konnte man sich anlehnen. Er würde einen trösten, wenn man hinfiel und sich die Knie aufschlug, und er würde dabei nicht schimpfen, weil die Jeans ein Loch bekommen hatten. Er würde sagen, dass das nicht so schlimm sei. Ganz anders als Mum. Mum regte sich entsetzlich auf, wenn etwas kaputtging. Sie schimpfte dann so, dass sie das Trösten ganz vergaß.
Am allermeisten musste Janie jedoch daran denken, dass der Mann gesagt hatte: »Ich würde gern die Party für dich ausrichten! Weißt du, dass ich der beste Kindergeburtstagsveranstalter der Welt bin? Ich habe schon so viele gefeiert, dass man mich getrost einen Experten nennen kann!«
»Aber meine Mum wird das nicht erlauben«, hatte sie eingewandt. »Sie sagt, unsere Wohnung ist zu klein für so etwas. Und wenn dann getobt wird, geht bestimmt etwas kaputt. Meine Mum hat nur ganz wenig Geld, wissen Sie. Deshalb hat sie immer solche Angst, dass etwas herunterfällt und zerbricht!«
Der Mann hatte das völlig verstanden.
»Das ist doch ganz klar. Vielleicht ist eure Wohnung deshalb nicht der richtige Ort für eine solche Party!«
Und dann hatte er den verlockenden Vorschlag gemacht: »Warum lädst du deine Freunde nicht zu mir ein? Ich habe ein großes Haus mit einem Garten. Wenn das Wetter schön ist, feiern wir draußen. Sollte es regnen, nun, dann kümmert uns das auch nicht. Es gibt einen riesigen Hobbyraum im Keller, der eignet sich ganz großartig!«
Das klang natürlich alles zu schön, um wahr zu sein. Der Mann hatte sie dann gleich in seinem Auto mitnehmen wollen, um ihr sein tolles Haus zu zeigen, aber sie hatte Angst gehabt, zu spät zum Mittagessen zu kommen. Mum hasste Unpünktlichkeit. Sie verhängte dann immer gleich ziemlich drastische Strafen: Hausarrest, Fernsehverbot oder Taschengeldentzug. Janie hatte das nicht riskieren wollen.
Doch dann sein Angebot: »Es ist ja noch Zeit bis zu deinem Geburtstag! Du kannst es dir überlegen. Aber du solltest dir wirklich vorher mein Haus ansehen, damit wir genau planen können, wie wir es machen. Pass auf, ich sage dir etwas: Normalerweise bin ich jeden Montag hier und kaufe mir meine Motorradzeitschrift. Heute ist eine Ausnahme. Und ich mache deinetwegen noch eine weitere Ausnahme: Ich komme morgen wieder her. Um die gleiche Zeit. Wie ist es? Kannst du?«
Von wenigen Gelegenheiten abgesehen, arbeitete Mum auch samstags. Zwar nur bis vier Uhr, aber es könnte trotzdem reichen.
»Schon, ja. Aber nicht um diese Zeit. Da muss ich immer zum Essen!«
Er war wirklich nett und entgegenkommend gewesen. »Weißt du, was die Zeit angeht, so ist mir das eigentlich egal. Um wie viel Uhr kannst du denn?«
Sie hatte überlegt. Mum verließ um kurz vor zwei die Wohnung. Wenn sie dann sofort aufstand, sich anzog und gleich loslief, konnte sie um zehn nach zwei an dem Schreibwarenladen sein. Besser, sie gab noch fünf Minuten dazu, um auf Nummer sicher zu gehen.
»Um Viertel nach zwei. Da könnte ich hier sein.«
»Viertel nach zwei passt mir großartig«, hatte der Mann versichert. »Ich werde hier warten, und du kannst dir überlegen, ob du dazustoßen möchtest.«
»Das ist sehr nett von Ihnen«, hatte sie gemurmelt.
Er hatte gelächelt. »Du bist ein besonders hübsches Mädchen, Janie. Und dazu intelligent und freundlich. Wenn ich dir einen Gefallen tun kann, so ist mir das ein Vergnügen.«
Er hatte kurz überlegt und dann hinzugefügt: »Weißt du, Janie, ich denke, unser Plan sollte vorläufig unser Geheimnis bleiben. Ich könnte mir denken, dass deine Mum ärgerlich wird, wenn sie erfährt, dass du ganz ohne sie woanders eine Party
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