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Das Echo

Titel: Das Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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mütterlichen Fürsorge bedrängt zu fühlen und war einzig und allein bestrebt, sich ihrer Umarmung so schnell zu entziehen, wie es die Höflichkeit zuließ. »Ich muß mal pinkeln«, sagte er energisch.
    »Durch die Tür rechts, dann die erste links«, erklärte Deacon und verbarg ein Lächeln. »Und zieh den Kopf ein. Hier im Haus ist keine Tür höher als eins achtzig.«
    Siobhan hantierte mit dem Kessel. »Erwartet Ihre Mutter Sie, Michael? Mir hat sie nämlich kein Wort von Ihrem Besuch gesagt. Aber sie ist in letzter Zeit ein bißchen vergeßlich, vielleicht ist es ihr also einfach entfallen. Aber machen Sie sich keine Sorgen. Ich treib’ schon noch was auf, daß Sie und der junge Mann nicht verhungern müssen.« Sie lachte vergnügt. »Wie sind wir früher nur ohne Tiefkühltruhe zurechtgekommen? Das frage ich mich oft. Ich kann mich erinnern, daß meine Mutter Eier eingelegt hat, damit wir in den mageren Zeiten was zu essen hatten. Grausig haben die ausgesehen. Wir waren vierzehn Kinder, und es gab jedesmal Kämpfe, weil wir die Dinger partout nicht essen wollten.«
    Sie hielt inne, während sie Teeblätter in die Kanne gab, und Deacon ergriff die Gelegenheit, um ihre erste Frage zu beantworten. Sie war, dachte er, eine redselige Person, und fragte sich, wie seine Mutter, die genau das Gegenteil war, es mit ihr aushielt. »Nein«, sagte er, »sie erwartet mich nicht. Und machen Sie sich bitte wegen des Essens kein Kopfzerbrechen. Es kann gut sein, daß sie es ablehnt, überhaupt mit mir zu sprechen. Dann fahren Terry und ich sowieso gleich wieder.«
    »Dann wollen wir mal die Daumen drücken, daß das nicht passiert. Es wäre doch schade, wenn Sie die weite Fahrt umsonst gemacht hätten.«
    Er lächelte. »Wieso habe ich das Gefühl, daß Sie mich sehr wohl erwartet haben?«
    »Ihre Schwester erwähnte die Möglichkeit. Sie sagte, wenn Sie überhaupt kämen, dann unangemeldet. Ich glaube, sie hatte Angst, ich würde zuerst die Polizei holen und danach erst fragen.« Sie goß kochendes Wasser auf die Teeblätter und nahm Becher aus einem Schrank. »Sie möchten sicher gern wissen, wie es Ihrer Mutter geht. Nun, sie ist nicht mehr so unverwüstlich wie früher - wer ist das schon in ihrem Alter? -, aber sie steht ganz sicher noch nicht auf der Schwelle des Todes, auch wenn sie das gern behauptet. Sie sieht schlecht, und das heißt, daß sie nicht lesen kann, und das Gehen macht ihr Schwierigkeiten, weil eines ihrer Beine nicht mehr mitmachen will. Sie braucht dauernde Betreuung, weil sie wegen ihrer zunehmenden Beschwerden beim Gehen ihre Diät vernachlässigt, und das bedeutet natürlich, daß sie jeden Moment wegen Unterzuckers ohnmächtig werden könnte.«
    Sie schenkte einen Becher Tee ein und reichte ihn ihm zusammen mit dem Milchkännchen und der Zuckerdose. »Das beste für sie wäre ein Pflegeheim, in dem sie sich ihre Selbständigkeit bewahren kann und trotzdem rund um die Uhr betreut wird, aber davon will Ihre Mutter absolut nichts wissen. Wir haben alle versucht, ihr zu erklären, daß sie leicht noch zehn Jahre leben kann, aber sie hat sich in den Kopf gesetzt, daß sie höchstens noch ein paar Monate vor sich hat, und ist entschlossen, hier zu sterben.« Sie warf ihm einen wissenden Blick zu. »Ich sehe Ihnen an, daß Sie sich fragen, was mich das angeht - wieso ergreift die Pflegerin die Partei von Emma und Hugh? denken Sie, wenn es den beiden doch einzig darum geht, ihre Schulden loszuwerden -, aber, sehen Sie, es ist mir schrecklich, eine Patientin so unglücklich zu sehen. Tag für Tag sitzt sie in ihrem Wohnzimmer, kein Mensch besucht sie, kein Mensch kümmert sich um sie, und ihre einzige Gesellschaft ist eine geschwätzige alte Irin, mit der sie überhaupt nichts gemeinsam hat. Es bricht mir fast das Herz, wenn ich sehe, wie sehr sie sich bemüht, höflich zu mir zu sein, damit ich nur ja nicht meine Sachen packe und auf und davon gehe. Beinahe alles wäre besser als dieser Zustand. Finden Sie das nicht auch, Michael?«
    »Doch, sicher.«
    »Werden Sie dann versuchen, sie zur Vernunft zu bringen?«
    Er lächelte entschuldigend und schüttelte den Kopf. »Nein. Wenn sie bei klarem Verstand ist, kann sie selbst ihre Entscheidungen treffen. Ich werd’ den Teufel tun und mich einmischen. Ich habe doch selbst keine Ahnung, was vernünftig ist und was nicht. Ich bin ja nicht mal imstande, für mich selbst intelligente Entscheidungen zu treffen, geschweige denn für einen anderen Menschen. Nein,

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