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Das Echo

Titel: Das Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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wär’ er in die Lagerhalle zurückgekommen. Ich hab’ dir doch gesagt, er ist immer mal abgehauen, aber er ist jedesmal zurückgekommen, wenn ihm der Alkohol ausgegangen ist und er wieder Hunger gekriegt hat.«
     
    Sergeant Harrison hatte mehrmals an der Tür des Reihenhauses der Grovers in Camden geläutet, ehe die Tür einen Spalt geöffnet und Barrys verschwitztes Gesicht sichtbar wurde. »Mr. Grover?« fragte er.
    Barry nickte.
    »Sergeant Harrison, Sir, vom Polizeirevier Isle of Dogs. Darf ich einen Moment eintreten?«
    »Warum?«
    »Ich würde Ihnen gern einige Fragen über Michael Deacon und Terry Dalton stellen.«
    »Was haben sie denn angestellt?«
    »Das möchte ich lieber drinnen mit Ihnen besprechen, Sir.«
    »Ich bin nicht angezogen.«
    »Es dauert nur eine Minute.«
    Einen Moment lang passierte gar nichts, dann klapperte die Sicherheitskette, und Barry zog die Tür auf. »Meine Mutter schläft«, flüsterte er. »Kommen Sie lieber hier herein.« Er öffnete die Tür zum Salon und schloß sie leise wieder.
    Harrison sog die kalte, muffige Luft ein und sah sich um. Er fühlte sich in eine längst vergessene Zeit zurückversetzt. Düstere Samtvorhänge, die von fast farblosen Streifen durchzogen wurden, wo die Sonne den Stoff ausgebleicht hatte, fielen von den Fenstern herab, und die uralte Tapete war gezeichnet von einem Zickzack brauner Ränder, die vom Boden aufsteigende Feuchtigkeit hinterlassen hatte. Fotografien eines Mannes in einer Uniform aus dem Ersten Weltkrieg drängten sich auf dem Kaminsims, und das Porträt einer jungen Frau in edwardianischem Kostüm lächelte liebreizend von der Wand herab. Die viktorianischen Möbel waren dunkel und schwer, die ganze Atmosphäre dumpf und drückend, als wäre die Tür dieses Zimmers an einem Tag irgendwann in der fernen Vergangenheit geschlossen und nie wieder geöffnet worden.
    Er legte eine Hand auf die Rückenlehne eines angeschimmelten Sessels, dessen Schmutz und Feuchtigkeit an seiner Handfläche haften blieb, und gedankenverloren überlegte er, was für Menschen das waren, die freiwillig in solchem Mief lebten.
    »Sie dürfen nichts anfassen«, flüsterte Barry. »Sie gerät außer sich, wenn sie der Meinung ist, daß Sie etwas berührt haben. Es ist das Zimmer ihrer Großeltern.« Er deutete auf die Fotografien und das Gemälde. »Das sind sie. Sie haben sie aufgezogen, als ihre eigene Mutter auf und davon ging und sie zurückließ.«
    Er roch nach Erbrochenem und schalem Alkohol und bot ein erbarmungswürdiges Bild in dem abgetragenen Frotteebademantel, der sich nur mit Mühe über seinem dicken Bauch und dem gestreiften Pyjama schließen ließ. Der Sergeant war hin und her gerissen zwischen Mitgefühl mit einem Leidensgenossen - Harrison hatte selbst zu viele Räusche hinter sich, um nicht die Qualen des Morgens danach zu kennen - und einer Mischung aus Ekel und Grusel. Er schrieb das der gespenstischen Atmosphäre dieses Zimmers und der unangenehmen Ausdünstung des Mannes zu, doch auch nachdem das Gespräch zu Ende war, dauerte es noch lange, ehe das Ekelgefühl ihn verließ.
    »Michael Deacon sagt, Sie können bestätigen, daß Sie gestern abend von halb neun bis etwa Viertel nach ein Uhr morgens mit ihm und einem jungen Mann namens Terry Dalton zusammen waren. Ist das richtig?«
    Barry nickte bedächtig. »Ja.«
    »Können Sie mir sagen, was die beiden taten, als Sie sie zuletzt gesehen haben?«
    »Mike hat ein Taxi angehalten, indem er auf die Kühlerhaube geklettert ist, und dann sind er und Terry eingestiegen. Es gab ein bißchen Krach, weil der Fahrer sich weigerte, Betrunkene mitzunehmen, und Mike sagte, er müsse jeden Fahrgast mitnehmen, solange er bezahlen könne. Ich glaube, er hat dem Fahrer das Geld im voraus gegeben, und dann sind sie abgefahren.« Er drückte gequält eine Hand auf seinen Bauch. »Was ist denn passiert? Hatten sie einen Unfall oder so etwas?«
    »Nein, nichts dergleichen, Sir. In der Lagerhalle, in der Terry Dalton bis vor kurzem gehaust hat, hat es gestern Ärger gegeben, und wir wollten uns vergewissern, daß er nichts damit zu tun hat. Was würden Sie sagen, in was für einem Zustand war er, als Sie ihn zum Taxi brachten?«
    Barry vermied es, ihm in die Augen zu sehen. »Mike mußte ihn praktisch in den Wagen hineinschieben, und ich glaube, er lag auf dem Boden, als sie losfuhren.«
    »Und wie sind Sie selbst nach Hause gekommen, Sir?«
    Die Frage erschreckte Barry offensichtlich. »Ich?« Er zögerte.

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