Das Echo
armen Kerl erbarmungslos. Und - ich kann keine weiteren Liebesschwüre ertragen.
Mittwoch, 7. Februar 1996 - 9 Uhr - Kapstadt, Südafrika
Der junge Kellner zuckte vielsagend die Achseln und wies mit einer kurzen Kopfbewegung zu der Gestalt an dem Tisch am Fenster. »Sie weint schon, seit sie hier angekommen ist«, sagte er. »Ich weiß nicht, was ich tun soll. Sie bestellt nichts, aber sie geht auch nicht.«
Der ältere Mann trat an den Tisch. »Geht es Ihnen nicht gut, Mrs. Metcalfe? Kann ich etwas für Sie tun?«
Sie hob den schwimmenden Blick zu seinem Gesicht und stand unsicher auf. »Nein«, sagte sie. »Es geht mir gut.«
Als sie ging, sah er zu der englischen Zeitung hinunter, die sie bei ihrer Ankunft aus dem Ständer des Hotels genommen hatte. Aber die Schlagzeile sagte ihm nichts.
»DNA-Tests beweisen - Skelett in der Themse war James Streeter.«
Eine Parabel aus unserer Zeit
von Michael Deacon
Die tragische Geschichte von Verity Fentons Selbstmord und Peter Fentons darauffolgendem Verschwinden ist wohlbekannt. Unbekannt war bis vor kurzem, was aus Peter Fenton geworden war. Die Wahrheit lag verschüttet im Grab eines Selbstmörders.
»Billy Blake - gestorben am 12. Juni 1995«, so steht es auf der Tafel in einem Londoner Krematorium zum Andenken an den Tod des Obdachlosen. Es müßte heißen: »Peter Fenton, geboren am 5. März 1950 - gestorben am 13. Juni 1995 an Selbstkasteiung.«
Es ist schwer vorstellbar, wie ein Mann vom Typ Peter Fentons, der als Diplomat eine herausragende Rolle spielte, eines Tages einfach sein Haus verlassen und spurlos verschwinden konnte, wenn man nicht begreift, warum er das tat. Zum Zeitpunkt seines Verschwindens wurde vermutet, er habe sich heimlich abgesetzt, die Suche nach ihm konzentrierte sich daher auf das Ausland. Keinem jedoch kam es in den Sinn, daß er beschlossen haben könnte, unter den Ärmsten der Armen in London ein Büßerleben zu führen.
Ist es ein Wunder, daß er so mühelos untertauchen konnte, wenn keiner von uns es wagt, einen Bettler oder Stadtstreicher länger anzusehen, aus Angst, der Blickkontakt könnte gefährlich oder peinlich werden?
Doch Veränderungen brauchen ihre Zeit, und Peter Fenton, ein gutaussehender, dunkelhaariger Mann von 38 Jahren, muß noch nach Wochen zu erkennen gewesen sein, ehe mangelnde Hygiene und Unterernährung aus ihm den heruntergekommenen und völlig abgemagerten Billy Blake machten, der der Polizei als sechzigjähriger Penner und Straßenprediger wohlbekannt war. Wie konnte der Mann sich in so kurzer Zeit so radikal verändern? Die Antwort muß wohl lauten, daß die Erschütterung über Veritys Selbstmord ihn zerstörte. Er war bereits bis zur Unkenntlichkeit gealtert, als er sich in die anonyme Welt der Landstreicher begab.
Es wäre zutreffend zu sagen, daß Peter Fenton am 3. Juli 1988 starb, als er das Haus der Familie am Cadogan Square verließ. Ganz gewiß hatte er kein Interesse daran, wieder dieser Mann zu werden. Peter Fenton war Berufsdiplomat, ein gewandter und selbstbewußter Mann mit einem beneidenswerten Intellekt und ohne offenkundige charakterliche Schwächen. Billy Blake dagegen war ein gequälter Mensch, der sich mit Genugtuung selbst Schmerz zufügte und jedem, der es hören wollte, die Verdammnis predigte. Er war ein unverbesserlicher Alkoholiker, Dieb und Bettler, doch er war immer bestrebt, häufig um einen für ihn selbst schrecklichen Preis, andere vor der Sünde zu bewahren, die er selbst begangen hatte. Die Ironie daran war, daß Billy, der Verwahrloste, ein guter Mensch war, Peter Fenton, der Privilegierte, nicht.
Peter war ein Mörder, der nach vollbrachter Tat die Frau seines Opfers, Geoffrey Standish, verführte und heiratete. Es kann keinen Zweifel daran geben, daß er genau wußte, wer Verity war, als er sie zum erstenmal in die Arme schloß; denn selbst wenn Geoffrey Standish zu dem Zeitpunkt, da er ihn tötete, ein Fremder für ihn war, wird er später aus den Zeitungsberichten erfahren haben, wer er gewesen war. Wir können mutmaßen, daß dieses Wissen den Kitzel bei der Verführung Veritys noch erhöhte; wir können aber auch einen freundlicheren Standpunkt einnehmen und sagen, daß Peter Fenton sich ganz einfach auf den ersten Blick in eine zarte und verletzliche Frau verliebte, deren Leiden durch die Hand ihres brutalen ersten Ehemannes unauslöschliche Spuren hinterlassen hatte.
Sie war eine zierliche, zerbrechlich wirkende Frau mit großen, scheuen Augen, und
Weitere Kostenlose Bücher