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Das Echo

Titel: Das Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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eigenen moralischen Anschauungen in Konflikt mit den sozialen und rechtlichen Definitionen von Recht und Unrecht stehen. Er zeigt außergewöhnliche Selbstkontrolle und gewährt keinen Einblick in seine Herkunft und seine Geschichte. Der Name Billy Blake ist beinahe mit Sicherheit ein angenommener Name, auch wenn Fragen nach bestimmten Straftaten keine Reaktion bei ihm hervorrufen. Er hat einen hohen IQ, und es ist schwierig einzuschätzen, welches die Gründe für seine Weigerung sind, über seine Vergangenheit zu sprechen. Er hat ein krankhaftes Interesse an Hölle und Kasteiung, stellt aber eher eine Bedrohung für sich selbst als seine Mitmenschen dar. Ich kann keine Anzeichen einer gefährlichen geistigen Störung entdecken. Er scheint klare vernunftgemäße Gründe für die Wahl seines Lebensstils zu haben - ich würde es als Büßerleben beschreiben -, und ich halte es für weit wahrscheinlicher, daß ein Trauma persönlicher Art, das mit einem Verbrechen nichts zu tun hat, ihn motiviert.
    Er präsentiert sich als passiver Mensch, mir sind jedoch Zeichen von Erregung aufgefallen, sobald man ihm Fragen darüber stellt, wo er sich aufgehalten und was er getan hat, bevor er das erstemal amtsbekannt wurde. Ich gebe zu, es könnte in seiner Vergangenheit ein Verbrechen gegeben haben - er war ja durchaus zielstrebig genug, sich selbst zu verstümmeln, um einen bestimmten Zweck zu erreichen -, aber ich halte es für unwahrscheinlich. Er entwickelte rasch einen starken Widerstand gegen meine Fragen zu diesem Thema, und es ist zu bezweifeln, daß weitere Sitzungen ihn zu mehr Aufgeschlossenheit bewegen könnten. Ich bin jedoch der wohlüberlegten Meinung, daß eine Therapie für ihn gewinnbringend wäre, denn ich fürchte, daß sein gesellschaftliches ›Exil‹, das von einem beinahe fanatischen Bestreben, Hunger und Entbehrung zu leiden, begleitet ist, sonst unnötig zu seinem vorzeitigen Tod führen wird.
    Henry Irvine
    PROTOKOLL EINES AUFGEZEICHNETEN GESPRÄCHS MIT BILLY BLAKE VOM 12. 7. 91 (NUR AUSZUGSWEISE)
     
    IRVINE: Wollen Sie damit sagen, daß Ihre persönlichen ethischen Grundsätze von höherem Rang sind als die religiösen Gesetze?
    BLAKE: Ich will sagen, daß sie anders sind.
    IRVINE: In welcher Hinsicht?
    BLAKE: Absolute Werte gibt es in meinem Moralsystem nicht.
    IRVINE: Können Sie das erklären?
    BLAKE: Unterschiedliche Umstände verlangen unterschiedliche ethische Gebote. Zum Beispiel ist es nicht immer eine Sünde zu stehlen. Wäre ich eine Mutter mit hungernden Kindern, würde ich es für eine schwerere Sünde halten, sie verhungern zu lassen.
    IRVINE: Mit diesem Beispiel machen Sie es sich zu einfach, Billy. Die meisten Menschen würden Ihnen zustimmen. Wie sieht es mit Mord aus?
    BLAKE: Nicht anders. Ich bin der Meinung, es gibt Zeiten und Anlässe, wo ein Mord, ob nun vorsätzlich oder nicht, angemessen ist. (Pause) Aber ich halte es für unmöglich, mit den Konsequenzen eines solchen Verbrechens zu leben. Das Tabu, ein Mitglied der eigenen Gattung zu töten, ist sehr stark, und es ist schwer, Tabus zu rationalisieren.
    IRVINE: Sprechen Sie aus persönlicher Erfahrung?
    BLAKE: (Gibt keine Antwort)
    IRVINE: Sie haben sich, wie mir scheint, selbst schwer bestraft, besonders mit der Verbrennung Ihrer Hände. Wie Sie zweifellos bereits wissen, vermutet die Polizei dahinter einen bewußten Versuch von Ihnen, Ihre Fingerabdrücke unkenntlich zu machen.
    BLAKE: Nur weil sie sich einen anderen Grund nicht vorstellen können, weshalb ein Mensch den Wunsch haben sollte, sich über den einzigen Gegenstand auszudrücken, der ihm wahrhaft gehört - seinen Körper.
    IRVINE: Selbstverstümmelung ist im allgemeinen ein Hinweis auf einen verwirrten Geist.
    BLAKE: Würden Sie das auch sagen, wenn ich meinen Körper mit Tätowierungen entstellt hätte? Die Haut ist eine Leinwand, auf der jeder mit seiner eigenen Kreativität spielen kann. Ich sehe in meinen Händen die gleiche Schönheit, wie eine Frau sie in ihrem Gesicht sieht, wenn sie sich vor einem Spiegel schminkt. (Pause) Wir glauben, unseren Geist zu beherrschen, aber so ist es nicht. Er läßt sich so leicht manipulieren. Machen Sie ihn reich, und Sie machen ihn hochmütig. Heilige und Sünder sind die einzigen Freidenker in einer beherrschten Gesellschaft.
    IRVINE: Was sind Sie?
    BLAKE: Keines von beiden. Ich bin unfähig, frei zu denken. Mein Geist ist gefesselt.
    IRVINE: Womit?
    BLAKE: Mit den gleichen Fesseln wie Ihrer, Doktor. Durch den Intellekt.

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