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Das Echo

Titel: Das Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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gehungert, und es wurde kurz überlegt, ob man ihn unter Anklage stellen oder in ein Heim einweisen sollte. Schließlich hat man sich dafür entschieden, ihn psychiatrisch untersuchen zu lassen, weil er sich die Fingerkuppen verbrannt hatte. Irgendein heller Kopf meinte, er hätte es mit Absicht getan, um einer Mordanklage zu entkommen, und plötzlich hatten alle Sorge, er könnte gemeingefährlich sein.«
    »Und?«
    Der Constable zuckte die Achseln. »Er hatte in Brixton ein paar Gespräche und wurde für gesund erklärt. Der Psychiater war der Ansicht, er wäre eher eine Gefahr für sich selbst als für andere.«
    »Wie erklärte er die verbrannten Fingerkuppen?«
    »Soweit ich mich erinnere, sprach er von einem krankhaften Interesse an Selbstkasteiung. Er beschrieb Billy als einen Büßer.«
    »Was heißt das?«
    Neuerliches Achselzucken. »Vielleicht sollten Sie das den Psychiater selbst fragen.«
    Deacon nahm seinen Block heraus. »Wissen Sie seinen Namen?«
    »Den kann ich feststellen.« Zehn Minuten später kam er zurück und reichte Deacon einen Zettel mit Namen und Adresse darauf. »Gibt’s sonst noch was?« erkundigte er sich, begierig, sich endlich wieder mit wichtigeren Dingen beschäftigen zu können als einem toten Penner.
    Widerstrebend stand Deacon auf. »Die Information, die ich bekommen habe, war ziemlich präzise.« Er steckte den Notizblock wieder ein. »Mir wurde gesagt, Billy Blake hätte jemanden erdrosselt.«
    Der Constable zeigte mildes Interesse, bis Deacon gestand, daß sein Informant nichts weiter wußte als das, was Billy eines Abends in volltrunkenem Zustand herumgebrüllt hatte.
    »Wen soll er denn erdrosselt haben, Sir? Einen Mann oder eine Frau?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Können Sie mir einen Namen nennen?«
    »Nein.«
    »Wo ist dieser Mord verübt worden?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Wann?«
    »Das weiß ich auch nicht.«
    »Dann tut es mir leid, Sir, aber unter diesen Umständen kann ich Ihnen nicht weiterhelfen.«
    Deacon hatte den Westminster Pier aufgesucht, wo die Vergnügungsdampfer lagen, hatte aber vergeblich nach jemandem gesucht, den er über einen Pflastermaler, der früher einmal hier Almosen gesammelt hatte, befragen konnte. Es frappierte ihn, wie feindselig der Fluß im Winter erschien, wie verstohlen sein Wasser gegen die überwinternden Vergnügungsdampfer schlug, wie schwarz und geheimnisvoll seine Tiefen waren. Er erinnerte sich an etwas, das Amanda Powell gesagt hatte:... er wollte so nahe wie möglich an der Themse sein. Aber warum? Welcher Art war das Band, das Billy mit dieser großen Schlagader im Herzen Londons verknüpfte? Er beugte sich vor und starrte ins Wasser.
    Eine alte Frau, die vorbeikam, blieb stehen. »Ein vorzeitiger Tod ist nie die Lösung, junger Mann. Er wirft weit mehr Fragen auf, als er klärt. Haben Sie bedacht, daß auf der anderen Seite vielleicht jemand auf Sie wartet, und Sie noch gar nicht bereit sind, ihm gegenüberzutreten?«
    Er drehte sich herum, wußte nicht, ob er pikiert oder gerührt sein sollte. »Keine Sorge, Madam. Ich hab’ nicht vor, mir das Leben zu nehmen.«
    »Vielleicht heute nicht«, entgegnete sie, »aber Sie haben schon daran gedacht.« Sie hatte einen kleinen weißen Pudel an der Leine, der Deacon mit wedelndem Stummelschwanz begrüßte. »Ich erkenn’ die Leute sofort, die schon mal dran gedacht haben. Sie suchen Antworten, die es nicht gibt, weil Gott sie noch nicht offenbart hat.«
    Er kauerte nieder, um dem kleinen Hund die Ohren zu kraulen. »Ich habe gerade an einen Freund von mir gedacht, der sich vor sechs Monaten das Leben genommen hat. Ich habe mich gefragt, warum er nicht in den Fluß gegangen ist. Es wäre ein weniger schmerzhafter Tod gewesen als der, den er gewählt hat.«
    »Aber würden Sie über ihn nachdenken, wenn er nicht unter Schmerzen gestorben wäre?«
    Deacon richtete sich auf. »Wahrscheinlich nicht.«
    »Dann hat er vielleicht darum diesen Weg gewählt.«
    Er zog seine Brieftasche heraus und entnahm ihr das erste Foto Billys. »Vielleicht haben Sie ihn einmal gesehen. Er hat im Sommer hier Pflasterbilder gemalt. Er hat Christi Geburt gemalt und darunter ›Gesegnet seien die Armen‹ geschrieben. Erkennen Sie ihn?«
    Sie studierte das Gesicht einige Sekunden lang. »Ja, ich glaube«, sagte sie bedächtig. »Auf jeden Fall erinnere ich mich an einen Pflastermaler, der Bilder der Heiligen Familie gemalt hat, und ich glaube, das war der Mann.«
    »Haben Sie einmal mit ihm

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