Das Echo
irgendwann in der Vergangenheit einen Menschen erdrosselt zu haben. Können Sie mir irgend etwas berichten, was diese Behauptung bestätigen oder widerlegen würde?
Ich bin mir natürlich völlig im klaren darüber, daß Ihre Gespräche mit Billy vertraulich waren, dennoch finde ich, daß sein Tod eine Untersuchung fordert, und wäre Ihnen daher für jede Information dankbar. Es liegt mir fern, Ihr berufliches Renommee in irgendeiner Weise gefährden zu wollen, und alles, was Sie mir an Unterlagen überlassen, werde ich ausschließlich im Rahmen meiner Recherchen über Billys Geschichte verwenden.
Vielleicht ist Ihnen meine Arbeit bekannt; wenn nicht, sollten die beigelegten Beispiele Ihrer Orientierung dienen. Ich hoffe, sie werden Sie davon überzeugen, daß Sie sich auf meine Diskretion verlassen können.
Mit freundlichen Grüßen
Michael Deacon
Dr. Henry Irvine, MB, FRCP
St. Peter’s Hospital
London
17. Dezember 1995
Sehr geehrter Mr. Deacon,
besten Dank für Ihr Schreiben vom 10. Dezember.
Mein Befund über Billy Blake ist seit 1991 öffentlich
bekannt, ich kann daher keinen Vertrauensbruch
darin sehen, wenn ich Ihnen die Informationen
liefere, die Sie wünschen. Auch ich bin
der Meinung, daß sein Tod untersucht werden
sollte. Es hat mich sehr geärgert, als man mir
weitere Gespräche mit ihm verwehrte, nachdem ich
darauf hingewiesen hatte, daß Billys Selbstverstümmelung
eher die Folge eines persönlichen
Traumas als einer Straftat sei: Ich war der
festen Überzeugung, daß weitere Sitzungen mir
ermöglicht hätten, ihm zu helfen. Ich bot ihm
zwar kostenlose Behandlung nach Abbüßung seiner
Gefängnisstrafe an, doch ich konnte ihn natürlich
nicht zwingen, von dem Angebot Gebrauch zu
machen, und so verlor ich, wie es unvermeidlich
war, den Kontakt zu ihm. Ihr Brief ist die einzige
Rückmeldung, die ich je zu diesem Fall erhalten
habe.
Zur Erläuterung meiner Rolle in diesem Fall muß ich vorausschicken, daß die Polizei nicht davon überzeugt war, daß der Diebstahl von Brot und Schinken aus einem Supermarkt Billy Blakes erste Straftat war. Sie fanden heraus, daß er einen falschen Namen benutzte, und wurden mißtrauisch angesichts seiner verstümmelten Hände, die eine Prüfung seiner Fingerabdrücke unmöglich machten. Es gelang ihnen jedoch trotz langer Vernehmungen nicht, ihn zu »knacken«, und sie erhoben schließlich Anklage wegen Ladendiebstahls, den er bereits gestanden hatte. Ich wurde im Hinblick auf die ungewöhnliche Natur des Mannes beauftragt, ein psychologisches Gutachten zu erstellen. Einfach gesagt, übertrug man mir die Aufgabe festzustellen, ob Billy eine Gefahr für die Gemeinschaft sei, und begründete dies mit dem Argument, daß er sich die Finger nicht auf so fürchterliche Weise verbrannt hätte, wenn er nicht fürchtete, eines früheren Gewaltverbrechens überführt zu werden.
Obwohl ich Billy nur dreimal gesehen habe, hat er mich außerordentlich beeindruckt. Er war unglaublich abgemagert, sein Haar war schlohweiß, und er war, obwohl er unverkennbar an akuten Symptomen des Alkoholentzugs litt, stets Herr seiner selbst. Er besaß eine starke Präsenz und beträchtlichen Charme, und am ehesten würde ich ihn als »Fanatiker« oder »Heiligen« beschreiben. Diese Bezeichnungen mögen im London der neunziger Jahre seltsam anmuten, doch sein leidenschaftliches Bemühen, andere zu retten, während er selbst Qualen litt, läßt, nachdem einmal die naheliegenden geistigen Störungen ausgeschlossen waren, eine andere Beschreibung nicht zu. Er war ein ziemlich besonderer Mensch.
Ich lege den Schlußteil des psychiatrischen Gutachtens bei sowie die Aufzeichnung eines Teils eines Gesprächs, das ich mit Billy geführt habe und das Sie vielleicht interessieren wird. Ich gestehe, daß mir der Bezug zu William Blake entgangen ist, aber Billys Reden waren in der Tat visionär. Wenn ich Ihnen sonst noch irgendwie behilflich sein kann, stehe ich Ihnen jederzeit zur Verfügung
Mit den besten Wünschen
Henry Irvine
PS: Zu den Aufzeichnungen: Es sind natürlich die Antworten, die Billy verweigerte, die uns am meisten über ihn sagen.
Psychiatrisches Gutachten
Patient: Billy Blake **/5387
Interviewer: Dr. Henry Irvine
Beurteilung:
Billy Blake verfügt über ein vollentwickeltes Verständnis moralischer und ethischer Gesetze, bezeichnet sie jedoch als »rituelle Werkzeuge zur Unterwerfung des Einzelwillens unter den Stammeswillen«, woraus ich entnehme, daß seine
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