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Das Echo

Titel: Das Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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komischer Kauz«, sagte Terry, als er sich wieder setzte. »Da sind doch mindestens noch zweihundert drin. Was soll mich davon abhalten, die Kohle zu klauen, jetzt, wo ich weiß, wo sie ist?«
    »Nichts«, antwortete Deacon. »Außer daß sie mir gehört und du sie dir nicht verdient hast. Jedenfalls noch nicht.«
    »Und was müßte ich tun, um sie zu verdienen?«
    »Lesen lernen.« Er sah den zynischen Blick in Terrys Augen. »Ich bring’ es dir bei.«
    »Klar, zwei Tage lang, und wenn ich’s dann immer noch nicht kann, kriegen Sie’n Wutanfall, und ich hab’ meine Zeit für nichts geopfert.«
    »Warum hat Billy es dir nicht beigebracht?«
    »Er hat’s ein- oder zweimal versucht«, erwiderte der Junge wegwerfend, »aber der hat so schlecht gesehen, daß er einem höchstens das beibringen konnte, was er im Kopf hatte. Das hat auch zu seinen Strafen gehört. Er hat sich einmal’ne Nadel ins Auge gestochen, und danach konnte er nie mehr länger lesen, ohne Kopfweh zu kriegen.« Er nahm sich noch eine Zigarette. »Ich sag’ doch, der war total meschugge. Der war nur glücklich, wenn er sich selbst was antun konnte.«
     
    Es war ein magerer Besitz: eine abgegriffene Postkarte, einige Malkreiden, ein Silberdollar und zwei Briefe auf dünnem Papier, die in der Hand auseinanderzufallen drohten, so oft waren sie gelesen worden.
    »Ist das alles, was da war?« fragte Deacon.
    »Ich hab’s Ihnen doch gesagt, er wollte nichts und er hatte nichts.’n bißchen wie Sie, wenn man sich’s überlegt.«
    Deacon breitete die Gegenstände auf dem Tisch aus. »Wieso hatte er die Sachen nicht bei sich, als er starb?«
    Terry zuckte die Achseln. »Weil er ein paar Tage, bevor er abgehauen ist, zu mir gesagt hat, ich soll sie verbrennen. Aber ich hab’ sie aufgehoben. Hätt’ ja sein können, daß es ihm später leid getan hätte.«
    »Hat er gesagt, warum er sie verbrannt haben wollte?«
    »Kann ich nicht behaupten. Er hatte mal wieder einen von seinen Wahnsinnsanfällen. Er hat geschrien, alles wäre Staub, und dann hat er zu mir gesagt, ich soll den ganzen Krempel ins Feuer schmeißen.«
    »Asche zu Asche und Staub zu Staub«, murmelte Deacon. Er griff nach der Karte und drehte sie herum. Auf der einen Seite war sie leer, auf der anderen zeigte sie eine Reproduktion von Leonardo da Vincis Zeichnung »Die Heilige Jungfrau und das Kind mit der heiligen Anna«. Sie war an den Kanten abgegriffen und über die glänzende Fläche des Bildes zogen sich Knicke, aber das konnte die Kraft von da Vincis Zeichnung nicht beeinträchtigen. »Wieso hatte er die?«
    »Er hat sie abgezeichnet. Auf dem Pflaster. Das ist die Familie, die er immer gemalt hat.« Terry berührte kurz die Figur Johannes des Täufers als Säugling rechts im Bild. »Das Kind hier hat er weggelassen« - sein Finger glitt weiter zum Gesicht der heiligen Anna -, »und aus der Frau hat er einen Mann gemacht. Die andere Frau und das Kind auf ihrem Schoß hat er so gemalt wie sie da drauf sind. Er war echt gut. Auf Billys Bildern konnte man immer alles genau erkennen. Da ist das hier schon ziemlich schlampig im Vergleich.«
    Deacon lachte. »Das ist eines der größten Meisterwerke der Welt, Terry.«
    »So gut wie das von Billy ist es nicht. Ich mein’, schauen Sie sich doch mal die Beine an. Die sind ganz durcheinander. Billy hat sie schön auseinandergehalten. Er hat dem Mann braune Beine gemacht und der Frau blaue.«
    Mit einem unterdrückten Auflachen senkte Deacon seinen Kopf zum Tisch hinunter. Er zog ein Taschentuch aus seiner Hosentasche und schneuzte sich laut, ehe er sich wieder aufrichtete. »Erinnere mich dran, daß ich dir bei Gelegenheit mal das Original zeige«, sagte er. »Es hängt in der National Gallery am Trafalgar Square, und ich bin nicht so überzeugt wie du, daß man die Beine unbedingt auseinanderhalten muß.« Er trank einen Schluck Bier. »Erklär mir doch mal, wie Billy überhaupt malen konnte, wenn er nicht gut gesehen hat.«
    »Zum Zeichnen hat er genug gesehen - ich mein’, er hat fast jeden Abend auf Papierfetzen gezeichnet -, und außerdem hat er seine Pflasterbilder immer riesengroß gemacht. Nur beim Lesen hat er Kopfweh gekriegt.«
    »Und wie war’s mit dem Schreiben? Er hat doch immer einen Titel unter das Bild gesetzt.«
    »Ja, ganz groß, genau wie das Bild, sonst wär’s den Leuten ja nicht aufgefallen.«
    »Woher weißt du, was da stand, wenn du nicht lesen kannst?«
    »Billy hat mir beigebracht, wie man’s schreibt.« Er zog

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