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Das Echo

Titel: Das Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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nichts mehr gegessen hat.«
    »Hatte er so etwas schon früher getan?«
    »Klar. Oft, wenn er ganz tief unten war oder einfach von Leuten wie Denning die Nase voll hatte. Aber es waren immer nur’n paar Tage, und er ist jedesmal zurückgekommen. Dann hab’ ich ihn in’ne Suppenküche geschleppt und wieder aufgepäppelt. Ich hab’ mich wirklich gut um ihn gekümmert, wissen Sie, und ich war echt am Boden, als ich gehört hab’, wie er krepiert ist. Das wär’ überhaupt nicht nötig gewesen.«
    »Hast du eine Ahnung, wohin er gegangen sein könnte?«
    Terry schüttelte den Kopf. »Tom hat gemeint, er wäre gar nicht in London gewesen, weil ihn da kein Mensch gesehen hat.«
    »Und warum sollte er London verlassen haben, weißt du das?«
    Wieder ein Kopfschütteln.
    »Was hat er getan, bevor er ging?«
    »Sich vollaufen lassen, wie immer.«
    »Sonst noch etwas?«
    »Was denn?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Deacon, »aber irgend etwas muß ihn doch dazu bewogen haben, plötzlich loszuziehen und vier Wochen lang zu verschwinden.« Er machte eine ungeduldige Handbewegung. »Komm, rede mit mir. Hat er an dem Tag gebettelt? Hat er mit jemandem gesprochen? Hat er jemanden gesehen, den er erkannte? Hat er irgend etwas Ungewöhnliches getan? Hat er etwas gesagt, bevor er losgezogen ist? Um welche Zeit ist er gegangen? Morgens? Abends? Denk nach, Terry.«
    »Das einzige, woran ich mich erinnern kann«, sagte Terry nach ein paar Sekunden angestrengter Konzentration mit gerunzelter Stirn, »war, daß er’ne Zeitung gelesen hat, die er im Müll gefunden hatte. Er hat sie sonst immer nur durchgeblättert und die Überschriften gelesen, aber diesmal hat er’ne ganze Seite gelesen, und es hat ihn ziemlich aufgeregt. Er war danach den ganzen Tag so ätzend schlecht gelaunt, daß man ihn gar nicht anreden konnte, und dann hat er Smirnoff gesoffen, bis er hinüber war. Am nächsten Morgen war er weg, und wir haben ihn nie wiedergesehen.«

13
    Soweit Terry sich erinnern konnte, war Billy irgendwann Mitte Mai verschwunden. Nachdem Deacon diese Auskunft aus ihm herausgequetscht hatte, packte er ihn ins Auto und fuhr mit ihm in die Redaktion. Terry schimpfte die ganze Fahrt wie ein Rohrspatz. An so einem Abend gehöre es sich, in eine Kneipe oder einen Nachtclub zu gehen, beschwerte er sich, nicht alte Zeitungen durchzuforsten... Deacons Problem sei, daß er schon so alt sei, daß er vergessen habe, wie man das Leben genießt... Nur weil er Weihnachten hasse, brauchten ja nicht auch alle anderen Trübsal zu blasen...
    »Es reicht!« brüllte Deacon genervt, als sie sich Holborn näherten. »Das wird nicht ewig dauern, also halt endlich die Klappe. Wir können hinterher in ein Pub gehen.«
    »Okay, aber nur, wenn Sie mir von Ihrer Mutter erzählen.«
    »Gibt es in deinem Wortschatz eigentlich das Wort ›Schweigen‹, Terry?«
    »Klar, aber Sie haben versprochen, daß Sie mir erzählen, warum Sie ihr gar keine Chance gegeben haben, Ihren Vater daran zu hindern, daß er sich umbringt.«
    »Ganz einfach«, sagte Deacon. »Sie hatte seit zwei Jahren kein Wort mehr mit ihm gesprochen, und ich konnte mir nicht vorstellen, daß sie gerade an diesem Abend wieder damit anfangen würde.«
    »Haben sie denn nicht im selben Haus gewohnt?«
    »Doch. Jeder an seinem Ende. Sie hat für ihn gesorgt, hat ihm die Wäsche gemacht, das Essen gekocht, das Zimmer aufgeräumt. Sie hat nur nicht mit ihm gesprochen.«
    »So eine Gemeinheit«, sagte Terry empört.
    »Sie hätte sich von ihm scheiden lassen und ihn sich selbst überlassen können«, bemerkte Deacon milde. »Sie hätte ihn sogar einweisen lassen können, wenn sie es versucht hätte. So etwas war vor zwanzig Jahren noch wesentlich einfacher als heute.« Er warf einen kurzen Blick auf den Jungen. »Man konnte nicht mit ihm leben, Terry - den einen Tag war er der Charme persönlich, am nächsten Tag hat er jeden wüst beschimpft. Wenn er seinen Kopf nicht durchsetzen konnte, wurde er gewalttätig, besonders wenn er getrunken hatte. Er war nicht imstande, einer geregelten Arbeit nachzugehen, er schob jede Verantwortung von sich, beschwerte sich aber unaufhörlich über die Fehler anderer. Meine Mutter hat das dreiundzwanzig Jahre lang mitgemacht, ehe sie sich ins Schweigen zurückzog.« Er fuhr die Farringdon Street hinunter. »Sie hätte es früher tun sollen. Die Stimmung wurde viel besser, als die ewigen Kräche aufhörten.«
    »Wieso hatte er so’nen Haufen Geld, wenn er nicht gearbeitet

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