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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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ein reger Partnerwechsel statt. Wenn ich dienstfrei habe und zu Hause schlafen kann, trennt mich nur ein dünner Behang und eine Wand, deren Holzlatten auf Abstand genagelt sind, von einem der Liebesnester. Ich höre und spüre vieles, was gewiß nicht für die Ohren eines Jungen in meinem Alter bestimmt ist. Die erotischen Hörbilder, die ich unfreiwillig jede Nacht frei Bett geboten bekomme, können sich qualitativ durchaus mit dem Magnetton eines französischen Pornofilms messen. Ich denke mir im stillen: «Jetzt weiß ich, woher die Burschen ihre ungebrochene Kampfmoral beziehen. Wenn die Nächte im Krieg so heiß sind wie die, deren Mithörer ich sein darf, dann lohnt es sich freilich, diesen Krieg noch etwas in die Länge zu ziehen. Da zählt ja jeder Tag, oder besser: jede Nacht!» Andererseits aber, so meine ich, haben es die jungen Kerle wohl doch verdient, ein paar schöne Nächte geboten zu bekommen, wo sie sich doch schon jahrelang draußen an der Front mit dem Gegner herumschlagen.
    Das sind so meine Gedanken, als die Erschütterungen von nebenan allmählich nachlassen und ich einschlafen kann. Ich bin ja immerhin in einem Alter, in dem man weiß, daß die beiden, die da wenige Zentimenter neben mir liegen, nicht deshalb stöhnen, weil sie Schmerzen haben, und nicht deshalb außer Atem sind, weil sie miteinander fangen spielen!
    Thea Seifert *1903
Breslau
    Über viele grausige Angelegenheiten wird gar nicht mehr gesprochen, und manches sieht geschrieben so einfach aus. Aber es waren doch recht große Schwierigkeiten, ehe man z.B. über die Kaiserbrücke kam, was stundenlang durch den Beschuß dauern konnte, wie die Leichen auf Rollwagen weggefahren und z. B. in der Nähe der «Schweizerei» in Massengräbern ohne Sarg verscharrt wurden, wie an allen Promenadenteilen und um die Kirchen der Innenstadt Soldaten und Zivilisten eingegraben wurden. Die vielen Menschen, die auf ihre Angehörigen warten, werden oft vergeblich warten, denn meistens sind Aufzeichnungen nicht gemacht, und wenn, dann sind diese Beschriftungen und Verzeichnisse wieder verlorengegangen.
    Wiederum werden sich so manche Flüchtlinge, die sich Breslau noch in alter Schönheit vorstellen, an ihr schönes verlassenes Heim erinnern undsich in Gedanken an eine eventuelle Rückkehr von ihrem ehemaligen Hab und Gut für die Zukunft noch etwas erhoffen, aber längst ist nichts mehr da.
    *
    Casimir Katz *1925
Lübeck
    Unser Haus war bis zum Dach voll besetzt. Meine Tante in Berlin kam etwa 14 Tage vor Kriegsende, als die Russen über die Oder gegangen waren, zu uns. Die Frau des früheren Lübecker Theaterintendanten, die bei uns im Berliner Büro gearbeitet hatte, kam und brachte einen achtzehnjährigen Rehpinscher, der nicht mehr stubenrein war, sowie einen Käfig mit einer Lachtaube mit. Kurze Zeit später kam auch ihr Mann, der zum Militär eingezogen war, zu uns. Eine Bekannte, die im Heereswaffenamt Sekretärin war, kam, kurze Zeit später auch ihre Mutter und dann auch noch ihr Bruder, ein Fregattenkapitän, der bei Kriegsende von seiner Truppe getrennt worden war.
    Der Generalleutnant Albert Fett *1872
Frankfurt/Main
    Wir haben Ehepaar Bergmann im Zimmer v. Fischer u. ein Mittelzimmer aufgenommen.
    Major Frankenberg zieht in unser Badezimmer. Seine Wohnung Melemstr. 3 ist von amerikanischen Truppen beschlagnahmt.
    8 Uhr auf Polizeirevier 9 Registrierung der Frkf. Bevölkerung. Wir erhalten Ausweise.
    Dr. Hans Lill 1882–1970
Würzburg
    Endlich den Passierschein bekommen. Nachmittags 2 Uhr auf Käppele zu Pater Petrus. [Kreuzweg-] Stationen nur gering beschädigt, 2 Dächer der Häuschen abgebrannt. Figuren nur gering verletzt, Kirche unbeschädigt. Anblick der Stadt von der Terasse schrecklich, alles grau wie ein Totengerippe. Ich habe richtig geheult!
    Von der Sparkasse mit Schwierigkeiten 150 M bekommen. Gehalt für Mai wird vorläufig nicht ausbezahlt. Nachmittags langweilige Jour.
    Der Bürgermeister Theodor Spitta 1873–1969
Bremen
    Besuch Knittermeyers. Die Bibliothek hat auch sieben Artillerietreffer bekommen und ist weiter stark beschädigt. [...] In den oberen Räumen der Bibliothek britische Soldaten einquartiert. Schutzanschlag gegen Plündern und Wegnahme von Sachen. In Knittermeyers Wohnung amOsterdeich, die ganz unbeschädigt durch den Krieg hindurchgekommen ist, Einquartierung von zwölf britischen Offizieren. Da dort eine Feuerwaffe gefunden sein soll, geht Kn[ittermeyer] hin. Unterhaltung mit britischem Offizier.

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