Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45
Kn[ittermeyer] sagt, er sei Philosoph und könne mit Waffen nicht umgehen; der Brite sagt, deutsche Philosophen seien für Krieg und Waffen, wie Nietzsche. Kn[ittermeyer] verweist auf Kants: «Vom ewigen Frieden». Unterhaltung über Krieg. Frage nach Stellung zum «Werwolf». Kn[ittermeyer] lehnt Werwolf ab; Krieg nur zwischen Soldaten. Brite: «I am for the Werwolf»; sie hätten ähnliche Organisationen in Frankreich, Holland und Belgien gehabt.
Das Plündern durch ausländische Arbeiter nimmt zu, straßenweise und systematisch.
Viel Schießereien in der Nähe Bremens.
Adolf Hitler 1889–1945
Berlin/Führerbunker
Politisches Testament
Ich hatte mich daher entschlossen, in Berlin zu bleiben und dort aus freien Stücken in dem Augenblick den Tod zu wählen, in dem ich glaube, dass der Sitz des Führers und Kanzlers selbst nicht mehr gehalten werden kann. Ich sterbe mit freudigem Herzen angesichts der mir bewussten unermesslichen Taten und Leistungen unserer Soldaten an der Front, unserer Frauen zuhause, den Leistungen unserer Bauern und Arbeiter und dem in der Geschichte einmaligen Einsatz unserer Jugend, die meinen Namen trägt.
Dass ich ihnen allen meinen aus tiefstem Herzen kommenden Dank ausspreche, ist ebenso selbstverständlich wie mein Wunsch, daß sie deshalb den Kampf unter keinen Umständen aufgeben mögen, sondern, ganz gleich wo immer, ihn gegen die Feinde des Vaterlandes weiterführen, getreu den Bekenntnissen eines grossen Clausewitz.
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Dieter Wellershoff *1925
Groß Kelle/Mecklenburg
Es ist totenstill und finster, nur die Bäume rauschen manchmal im Wind. Vorübergehend kann man die Vorstellung verlieren, daß ringsum eine Katastrophe ihren Lauf nimmt, wie man sie allenfalls aus Geschichtsbüchern gekannt hat. Ich bin nicht im geringsten mit all dem fertig, was passiert. Ich kann es in Wirklichkeit überhaupt nicht fassen. Es ist aus mit Deutschland, das ich so sehr geliebt habe. Denn das ist nicht nur ein Krieg, der verlorengeht. Das ist viel umfassender und endgültiger, einVerlust von aller vorstellbaren Zukunft. Ich weiß nur eins, daß ich überleben will. Ich bin neunzehn Jahre alt. Eigentlich müßte alles erst anfangen.
Peter Neumann
Malchin
Vor Malchin müssen wir absitzen. Zwei junge Offiziere, noch in tadellosen Uniformen, verlangen die Marschpapiere. Keiner kann sie vorweisen. Also werden wir entwaffnet: Die Karabiner fliegen auf einen großen Haufen, auch eine Eierhandgranate lege ich dazu. Wir werden auf einen Hof im Ort geführt, denn hier soll eine neue Kampfeinheit zusammengestellt werden. Ein Major oder Oberst Wolf hat sich zum Festungskommandanten ernannt, die Stadt selbst zur Festung erklärt, die zu verteidigen ist – so steht es auf den angeschlagenen Plakaten. Doch mit seiner Autorität scheint es schlecht zu stehen. Wir verdrücken uns schnell und treffen überall herumstreunende entwaffnete Soldaten.
Leutnant Wassilenko
(Neustrelitz)
Zuerst kamen wir nach Strelitz-Alt. Da auf den Straßen Minen waren, stießen wir auf dem Eisenbahndamm vor. Da erhielten wir Beschuß. Es war hier nicht sofort auszumachen, von wo geschossen wurde. Der Auftrag mußte erfüllt werden, ich gab den Befehl an die anderen Panzer, hinter mir herzufahren. Dann sah ich, daß am Stadtrand von Strelitz sich zwei «Tiger» eingegraben hatten und von dort schossen. Alt- Strelitz war schon zerstört. Wir glaubten daher nicht die ersten zu sein und auf unsere eigenen Genossen zu stoßen. Als wir aber vom Gefängnis aus mit Panzerabwehrkanonen und Maschinengewehren beschossen wurden, wußten wir ganz bestimmt, daß unsere eigenen Genossen nicht dort waren. Da ist eine ältere Frau gekommen und hat uns gezeigt, wo sich die SS versteckt hatte. Auch Hitlerjungen schossen jetzt mit Panzerfäusten auf uns. Ein Panzer brannte schon, der nächste auch. Jetzt galt es, schnell und entschlossen zu handeln, um unser Leben nicht unnötig aufs Spiel zu setzen. Von dort sind wir nach Neustrelitz vorgerückt. Direkt auf dem Marktplatz erhielt mein Panzer einen Schuß und fing an zu brennen. Ich selbst wurde verwundet. Ein Hitlerjunge hatte den Panzer erst vorbeigelassen und dann geschossen.
Ein Unbekannter
Neustrelitz
Der heraufdämmernde 30. April wird in der Geschichte der Stadt für immer als der schlimmste Tag des Schreckens dastehen. Die Stadt wurde, obwohl es militärischen Widerstand nicht mehr gab und die zurückgebliebenenBewohner alles ruhig über sich ergehen ließen, für einige Tage von dem
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