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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Lageraum, nacheinander einzeln befohlen, der Reihe nach: Göring, Dönitz, Keitel, Jodl, um ihrem Geburtstags-Gedenken jeder einzeln Ausdruck zu geben. Alle sonstigen Lageteilnehmer begrüßte der Führer beim Betreten des Lageraumes mit Handschlag, und ohne, daß sonst von seinem Geburtstage Notiz genommen wurde.
    Ich war nicht imstande, als ich allein dem Führer gegenüberstand, ihn zu beglückwünschen. Ich sagte etwa: Daß ihn die Vorsehung am 20. 7. bei dem Attentat so gnädig verschont habe, und daß er heute an seinem Geburtstage, in diesen bisher ernstesten Tagen, wo die Existenz des von ihm geschaffenen Reiches aufs schwerste bedroht sei, die Führung noch in der Hand habe, das gäbe uns das Vertrauen, daß er die unaufschiebbaren Entschlüsse fassen werde. Ich sei der Meinung, daß er handeln müsse, noch bevor die Reichshauptstadt zum Kampfgebiet werde. Ich wollte weiter sprechen, aber er ließ es nicht zu und unterbrach mich mit den Worten: «Keitel, ich weiß, was ich will, ich werde mich vor, in oder hinter Berlin schlagen.» Mein Versuch, sich gegen diese Idee, die ich als Schlagwort empfand, zu wenden, war ihm offenbar bewußt. Er streckte mir die Hand entgegen. Mit den Worten: «lch danke Ihnen, rufen Sie mir Jodl herein, wir sprechen uns später noch», war ich entlassen.
    Am 20. 4., also auf der Rückfahrt nach Dahlem, teilte ich Jodl meinen Entschluß mit, am 21. alles noch Entbehrliche mit Flugzeug nach Berchtesgaden vorauszuschicken, nachdem mein Sonderzug schon am 18. 4. dorthin abgefahren war. Unter Führung meines Adjutant[en] Schimonsky flog meine Maschine – [von] Fliegeroberstabsingenieur Funk im Tagesflug sicher gestartet – mit voller Besatzung – darunter auch General Winter, Dr. Lehmann, Frau Jodl und meine Frau – nach Prag, vonwo die Insassen mit bereitstehenden Dienstwagen nach Berchtesgaden fuhren. Mein Flugzeug war abends wieder in Berlin-Tempelhof zu meiner Verfügung. Alles dies geschah zur Erleichterung und Vorbereitung der nahe bevorstehenden Übersiedlung des F.H.Qu. nach Berchtesgaden, die damals jedenfalls noch außer jedem Zweifel stand.
    *
    Der Soldat August Thurn 1925–2003
östlich von Berlin
    Das Oberkommando des Heeres setzt sich nach Bayern ab. Somit wird das Wachregiment nicht mehr gebraucht. Am Abend öffnet der Kellermeister den Weinkeller für alle. Wir kosten reichlich von dem guten Wein und füllen unsere Feldflaschen mit dem besten Tropfen. Noch vor Einbruch der Dunkelheit fahren wir auf Lastwagen an die Ostfront. Leicht angeheitert, begegnen wir ganzen Kolonnen von Flüchtlingen. Wir werden bald nüchtern, angesichts der Not dieser Menschen.
    Nach Mitternacht sind wir am Ziel, irgendwo östlich von Berlin. Mit mir sind die Männer von der Musikkapelle vom Wachregiment, fast durchweg Stabsfeldwebel. Den Leuten hat man ein Sturmgewehr in die Hand gedrückt und sie an die Front geschickt. Die hatten keinerlei Fronterfahrung. Der Mann, der hier seine Musiker eingewiesen hat, konnte sicher in Berlin einen zackigen Wachaufzug kommandieren. Aber das war’s dann auch schon. Der hat seine Leute den Russen regelrecht auf dem Präsentierteller dargeboten. Auf freiem Feld, ohne jede Deckung, mußten sie auf den Angriff der Russen warten.
    Der Unteroffizier Bruno J. Paap *1916
Wittenberge/Elbe
    Der Bataillonsstab hatte die Idee, mich an Hitlers Geburtstag mit Wirkung ab 1.4.45 zum Feldwebel zu befördern. Hierauf war ich gar nicht mehr stolz, war es leid. Mußte mich aber, einer militärischen Pflicht genügend, beim Stab, beim Kommandeur unserer Festung melden. Ich also hin zum Stab, mache vor dem sitzenden Kommandeur meine Meldung: «Herr Hauptmann, melde, Unteroffizier P. ab 1.4.45 zum Feldwebel befördert.»
    Aus der Antwort, dem Lächeln und dem Glitzern der Augen sowie aus den herumstehenden vollen und leeren Flaschen Alkohol entnahm ich, daß die Herren Offiziere ganz schön am Saufen waren, vielleicht feierten sie noch Hitlers Geburtstag? Es war sein 56. An diesem Abend hörten wir noch die letzte Rede des Josef Goebbels zu Hitlers Geburtstag aus unserem Radio.
    Zur Aufrechterhaltung von Disziplin und Ordnung innerhalb der Festung Wittenberge wurden nach dem 20. April, wie auch schon vorher, strenge Kontrollen der öffentlichen Luftschutzbunker und -räume sowie der Gaststätten vorgenommen. Bewährte alte Soldaten, Unteroffiziere und Feldwebel, die «Kettenhunde» mit ihren Brustschilden, hatten diesen schweren Dienst. Eines Nachts nun gerieten zwei junge

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