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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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kam es zu einem Zwischenfall. Arbeiter, die im Fackelschein unser Gepäck transportierten, begannen über die «Reichskanzlei-Bonzen» zu schimpfen, dann pöbelten sie uns an und plünderten die Koffer. Bis die Ordnung wiederhergestellt war und wir starten konnten, verging fast eine Stunde.
    *
    Der Oberleutnant Erich Weitzsch *1920
Kurland
    Wir stehen vor der 8. Kurlandschlacht und sind gefechtsbereit – der Gegner mit Sicherheit auch. Noch immer hat die Versorgung über die Ostsee unbeeinträchtigt durchgeführt werden können. Es ist alles vorhanden: Verpflegung, Munition, Kraftstoff, Waffen. Die Kompanien sind sogar wieder gut beieinander. Wir sind sicher, daß wir in der 8. Kurland-Schlacht den Feind abermals abschlagen werden. Zugleich habe ich aber das unbestimmte Gefühl, daß es so oder so die letzte Kurlandschlacht werden könnte. Der ganze Frontbogen ist noch einmal verkürzt worden.
    Wird nicht bald alles zu Ende sein? Vielleicht auch wartet der Feind jetzt auf weitere Fortschritte an den anderen Fronten? Nur zögernd folgte er der Verkürzung der Front.
    Noch immer ist von einem Waffenstillstand mit den Westmächten dieRede. Aber mir scheint: Alle ausweglosen Lagen bringen ein Wunschdenken hervor. Ist es mehr als dieses?
    Der Oberleutnant Harro Ketels *1915
Kurland
    Als Sonderdruck für Kommandeure ist ein Vortrag von Prof. Baumgarten über «Die wahre Zukunft Europas» gedruckt worden. B. ist Inhaber des philosophischen Lehrstuhls der Universität Königsberg und hat diesen Vortrag vor kurzem gehalten, als die Russen schon vor der Stadt standen. In ihm ist ein wesentlicher Beitrag zum Verständnis unserer Zeit gegeben. Er zwang mich, manches noch einmal durchzudenken. Der Nationalsozialismus und der Bolschewismus haben vielerlei gemeinsam.
    Der Korvettenkapitän Dr. Arnold Schön
Pillau
    Als die Front nun immer näher rückte und es sich zeigte, daß Pillau nicht zu halten war, setzte sich der Rest des Stabes der Kriegsmarine nach Neutief ab. Ich erhielt den Befehl, am 24. April um 23.00 Uhr die Zitadelle zu verlassen und mit dem Rest unserer Kompanie, 80 Mann, nach dem Hinterhafen zu marschieren, wo uns von der Marineausrüstungsstelle ein Schiff abholen sollte. Wir warteten von Stunde zu Stunde, aber es meldete sich niemand, und es kam kein Schiff. So wurde es 3.00 Uhr. Das Artilleriefeuer auf das hinter uns liegende Bahngelände nahm allmählich zu, und die Russen waren von Camstigall her in das Gelände des Hinterhafens eingedrungen; die Häuser auf dem Russendamm brannten lichterloh, die Werft von Sakuth, das Hafenbauamt, alles ein Flammenmeer, das die ganze Gegend erleuchtete. Es wurde 4.00 Uhr, und kein Schiff kam, uns abzuholen. Vom Russendamm her und über den Hinterhafen hinweg wurden wir bereits mit Mg’s beschossen. Das Artilleriefeuer auf Bahnhofsanlagen und Holzwiese nahm weiter zu. Da entschloß ich mich, mit meiner Kompanie mich zum Vorhafen durchzuschlagen, in der Hoffnung, daß dort noch ein Schiff lag. Einzeln, oder in kleinen Trupps, nach jedem Einschlag weiterspringend, gelangten wir wie ein Wunder ohne Verluste über die Holzwiese und Hindenburgbrücke, an dem gerade in hellen Flammen stehenden Hause des Konsuls Janzen vorbei, über den Schutt der Häuser in der Königsbergerstraße (Sparkasse, Strahlendorff) und am Markt (Wendes’s Haus), durch die Lizenstraße, darin jedes Haus, vom «Deutschen Haus» bis zum «Kurfürstlichen Hof» Bombentreffer bekommen hatte, und dann durch die Lotsenstraße über die Trümmer des «Goldenen Ankers» bis zum 1. Stock hinweg – nur die Vorderfront stand noch – zur Ecke Vorhafen.
    Hier konnten wir gerade noch im letzten Augenblick den letzten Marine-Fährprahm und damit das letzte Fahrzeug, das aus Pillau ablegte, besteigen. Wenige Minuten darauf, um 4.30 Uhr am Morgen des 25. April legten wir ab.
    Der Matrose Georg Sukow
Swinemünde/«Haussa»
    Wir waren mit über 3000 Flüchtlingen, Verwundeten und Gefangenen als letztes größeres Schiff von Pillau ausgelaufen. [...] Wir machten in der Kaiserfahrt in der Nähe des Marinedepots [von Swinemünde] fest, und zwar kurz vor der von den Pionieren geschlagenen Pontonbrücke. Die Flüchtlinge gingen an Land und wurden in Richtung Wolgast weitertransportiert.
    Die Laderäume, die sich in einem fürchterlichen Zustand befanden, wurden gereinigt. Man kann sich nicht vorstellen, wie Räume aussehen, in denen Menschen gezwungen sind, ohne hygienische Einrichtung einige Tage leben zu müssen.

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