Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45
gegenüberstanden, waren wir vor Verlegenheit zunächst ziemlich einsilbig. Beim Stellungsbau hatten wir uns von Kopf bis Fuß mit Lehm beschmiert, und unsere Uniformen waren an Knien und Ellenbogen vom Robben durchgescheuert. Unsere Verbündeten wirkten sauber dagegen, immerhin waren sie wie wir unrasiert.
Die Amerikaner wunderten sich, daß wir keine Helme trugen. Wir erklärten ihnen, daß wir sie vor dem Angriff ablegten. Sie sind in der Verteidigung gut, wenn man im Schützengraben sitzt, sagten wir, beim Angriff jedoch ist man Kugeln und Splittern in ganzer Größe ausgeliefert. Der Helm, der einem über die Augen rutscht und die Sicht nimmt, stört da nur. Außerdem ist er zu schwer.
Die sowjetischen und die amerikanischen Soldaten begrüßten sich als Kampfgefährten, als Waffenbrüder, und sie tauschten einen festen Händedruck.
Nachdem Kotzebue seinem Stab über Funk von der Begegnung berichtet hatte, schickte er einen Teil der Soldaten mit der Meldung zurück. Sie fuhren mit zwei Jeeps. Elf Mann und drei Fahrzeuge behielt er bei sich.
Für die Amerikaner war der Krieg zu Ende, doch wir setzten den Angriff auf Dresden und Prag fort.
Der Frontberichterstatter
Konstantin Simonow 1915–1979
Torgau
Ich habe noch Aufnahmen, die an der Elbe gemacht wurden und uns zusammen mit amerikanischen Soldaten und Offizieren zeigen, und in meinem Schreibtischkasten bewahre ich Souvenirs von damals auf, vernickelte amerikanische Dienstgradabzeichen, die ich gegen meine aus den Ersatzschulterklappen gezogenen Offizierssternchen eingetauscht habe.
Ich erinnere mich, welche große Freude ich in jenen Tagen empfand, eine Freude, die noch nicht von Zweifeln und Befürchtungen belastet war.
An vieles erinnere ich mich, aber in den erhaltenen Notizblöcken von damals findet sich nichts hierüber.
*
Der britische Soldat
Edwin Chapman
Nordwestdeutschland
An seine Eltern
An den letzten drei Tagen war das Wetter wieder trocken, obgleich es nicht so heiß und sonnig ist wie in der letzten Woche.
Neulich abend gab mir der Bursche hier, der Wild- und Geflügelhändler, Kiebitzeier zu essen. Sie waren wirklich gut.
In Liebe Euer Edwin.
Der Postbeamte Wilhelm Bodenstedt 1894–1961
Breslau
Wieder keine Post vom Weiberle; dafür weiß ich aber, daß heute morgen alle Post von Breslau abgeflogen wurde, so daß mein Weiberle vielleicht schon am nächsten Sonntag reichlich Post von mir bekommt, worüber ich mich sehr, sehr freuen würde.
Der Kampf geht hier fast ausnahmslos; im Westen brennt es: Alsenstraße, Zehnerstraße usw. Es ist jetzt 22.30 Uhr. Wir hatten eben Fliegerbesuch, und die Burschen haben uns ganz in der Nähe mit Sprengbomben eingedeckt, so daß bei uns die Türen aufschlugen. Gute Nacht, mein Weiberle.
Der sowjetische Offizier Akim Popowitschenko
Österreich
An seine Familie
Liebe Werusska, lieber Wodik, liebe Dinotschka!
Jetzt ist wirklich der Frühling da. Die Apfelbäume, die Birnbäume, die Kirsch-, Aprikosen- und Pfirsichbäume blühen. Wie schön es ringsum ist, wie wenig das doch zusammenpaßt mit dem Leben, das ich im Augenblick führe.
Liebe Werusska! Jetzt bin ich schon bald zwei Jahre an der Front.
Ich werde natürlich nicht als der heimkehren, der ich war. Der Krieg hat mir seinen Stempel aufgedrückt. Vielleicht werde ich zärtlicher sein, vielleicht gröber, mit Sicherheit älter, obwohl niemand, der mich jetzt sieht, mich für älter als 30 hält.
Kätzchen, die Sendungen habe ich jetzt immer noch nicht abgeschickt. Das ist jammerschade. Ich habe ja an die 100 kg allein an Seide – das sind so 500–600 Meter, und dann noch wollene und andere Stoffe. Auf das Leben und das Glück kommt es an, alles andere wird sich schon finden.
Deine lieben Briefe habe ich bekommen. Ich habe niemals daran gedacht, daß Du mir untreu sein könntest. Niemals! Das wäre ja dumm von mir. Und wenn ich ab und zu in dieser Hinsicht scherze, dann mußt Du das auch genau so auffassen, als Scherz eben. Wir beide haben eine Lebenseinstellung entwickelt, die aus manchen schwierigen Erfahrungen erwachsen ist, es wäre eine Dummheit, einander nicht zu vertrauen. Den physischen Betrug fürchte ich nicht weiter, obwohl unsere Beziehung zueinander wohl kaum dieselbe bleiben würde, selbst wenn ich davon noch zehn Jahre später erfahren sollte. Ich bin nicht eifersüchtig, glaube ich, aber ich habe zuviel durchgemacht, ich habe zuviel von dieser Welt und den Menschen gesehen, von diesen widerwärtigen Betrügereien,
Weitere Kostenlose Bücher