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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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bis zum S-Bahndamm. Kaum ist der Feuerbefehl im Trapezverfahren gegeben, schon gehen die Ausgangswerte an die Kanonen. Rums! – Rums! – Rums! – erschallen die Feuerschläge, die Granaten orgeln durch die Luft ihrem Ziel entgegen. Von den Pionieren kommen Wünsche zur Feuerunterstützung, die vorgeschobenen Beobachter fordern Feuer, die Abteilung befiehlt, manchmal wissen wir nicht, wohin zuerst geschossen werden soll. Der Waffenwart kommt angesprungen, «wir müssen Rohre aufstellen lassen, sie sind zu heiß!» Geschütz daneben meldet«Patronestaucher!» Bei Cäsar ist Hülsenklemmer, manchmal schießen wir nur mit einem Rohr, aber wir schießen. [...] Kaum ist Zeit für eine Zigarette, so geht Stunde um Stunde vorbei. Die Luft ist erfüllt vom Orgeln der Granaten. Über uns tollen sich die Flieger, von dort offener Beschuß, Bomben, Luftkämpfe, aber das interessiert uns nicht, wir schießen, schießen, schießen! Meine beiden Staffelführer sind schon heiser, so scharf und schnell kommen die Werte.
    Gegen 10 Uhr bringt uns der Verbindungsoffizier von den Pionieren, ein Oberfeldwebel, folgende Lage: «Feind sammelt sich in der Jungfernheide zum Angriff. Gegenangriff um 11 Uhr von Spandau aus. Von 10.45 bis 11 Uhr Vernichtungsfeuer auf Raum XY mit allen verfügbaren Rohren.» Das ist eine Aufgabe. Ich spreche mit dem Kommandeur, und wir bekommen außer unseren vier Rohren noch zwölf dazu. Auf die Sekunde genau bricht von uns aus ein mörderisches Feuer los, Schlag auf Schlag, Granate um Granate! Im schnellsten Gruppenfeuer verlassen die Granaten die Rohre, die Erde erbebt, kein Wort ist zu verstehen, wir sind in Dampf und Nebel gehüllt, es ist, als sei die Hölle los. Da! Die roten Leuchtkugeln! Das vereinbarte Zeichen zum Einstellen des Feuers. Nun steigt der Gegenangriff, also, los Pioniere, Gott mit euch, schlagt die Russen raus! Unsere besten Wünsche begleiten euch! Wir taten, was wir konnten.
    Ein neuer Brennpunkt ist entbrannt an der Tegeler Brücke. Hier will der Feind mit Panzern übersetzen. Die Batterie Gerstenfelde ist in Lebensgefahr. Der Beobachter sitzt im Siemensturm und gibt uns die Werte an. Dieses Schießen wird mein schwerstes Schießen im ganzen Krieg. Wir schießen uns ein, ein indirektes Punktschießen, besser und schwerer als auf allen Schießplätzen. Bravo Treffer! Ein Panzer brennt! – Weiter, weiter!! Gruppen um Gruppen raus aus den Rohren! Wir müssen es schaffen! Der zweite Panzer brennt, die Besatzung steigt aus. Zwei Strich links, 100 m zulegen, Feuer! Schlag auf Schlag, die Schüsse sitzen, ein Panzer nach dem anderen geht dem Feind verloren. Und dann die Meldung: Feuer einstellen, Panzer macht kehrt! Mit dieser Meldung steige ich auf den Geschützrand und dreimal Bravo hallt es aus den Kehlen meiner Männer! Neue Werte! Es geht schon weiter, es gibt keine Müdigkeit.
    Unten im Süden, im Grunewald, stinkt es. Wir müssen unsere Kanonen um 180° schwenken und die Grunewaldbatterie unterstützen. 2000 Schuß Munition sind als Nachschub da. Alles, was an Armen nicht an den Kanonen gebraucht wird, lädt Munition ab. Schuß um Schuß verläßt die Batterie. Wieder um 90° schwenken, das Dorf Döberitz wirdangegriffen, Feuerunterstützung für Döberitz. Da kommt mein Oberfeldwebel von den Pionieren zurück. Der Gegenangriff brach zusammen, Jungfernheide aufgerieben, der Feind hat den Bahndamm erreicht! Wir schießen, schießen und schießen, und alles ohne Erfolg. Es kann doch nicht sein! Und nun rein in die Jungfernheide, was die Rohre halten, der Feind muß wieder raus! Die Ladenkanoniere leisten Unmenschliches, schweißbedeckt und rußgeschwärzt stehen sie an den Kanonen und laden Schuß um Schuß, niemand weicht, es ist ein erbitterter Zweikampf, du oder ich! Fällst du, dann ich! [...]
    Als gegen 21 Uhr die letzte Kanone die Stellung verläßt, trete ich meine Maschine an, um nun zur Erkundung voraus zum Königsplatz am Reichstag zu fahren. Was uns dort erwartet, weiß ich nicht! Der Kommandeur sagt mir am Telefon soeben: «Was Sie mit Ihrer Batterie für die Verteidigung der Reichshauptstadt leisten, ist einmalig. Gott vergelt’s Ihnen!» Die Batterie rollt im tiefen Fliegerabstand langsam auf die Reichsstraße vor, immer wieder haltend, Deckung nehmend und wieder weiter. Ich selbst fahre mit der Maschine durch, erreiche die Ost-Westachse, muß Panzersperren umfahren, sage Bescheid, daß eine schwere Flakbatterie folgt, weiche Bombentrichtern aus, die Splitter sausen mir

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