Das echte Log des Phileas Fogg
war und für wie lange. Er hatte das Land heimlich verlassen und ohne seinen Vertrauten das Ziel auch nur andeutungsweise bekanntzugeben. Aber seine Frau wußte Bescheid, und so erfuhr es bald auch Passepartout, als er eines Nachts sehr spät im Arbeitsraum einen Brief las, den sie an einen befreundeten Missionar in Südostafrika geschrieben, doch noch nicht abgeschickt hatte. Darin teilte sie vertraulich mit, daß Sir William erneut die Suche nach König Salomos Schatzkammer aufgenommen habe und sie sehr gerne alles erfahren würde, was man in Afrika von ihm berichte. Sir William sei – so schrieb sie – trotz seines Alters ein bemerkenswert lebensfroher Mann. (Wer könnte es besser wissen als sie, dachte Passepartout, die ihm in den vergangenen drei Jahren zwei Kinder geschenkt hat.) Er könne für lange Zeit fortbleiben. Inzwischen war ihr Sohn Phileas an seinen Koliken gestorben. Doch falls der Freund Sir William zufällig begegne, solle er ihm den Tod seines Sohnes verschweigen. Sir William solle seine Suche nicht abzubrechen brauchen.
Nach fünf Jahren im Inselreich der Engländer hatte Passepartout sich an den exzentrischen Charakter seiner Bewohner gewöhnt. Daher überraschte ihn die Tatsache nicht, daß ein Baronet von mehr als 70 Jahren durch die finsterste Wildnis Afrikas kroch und eine sagenhafte Stadt suchte, die zweifellos überhaupt nicht existierte. Viel stärker weckte es sein Interesse, als er herausfand, daß der tote Phileas nicht Sir Williams erstes Kind mit diesem Namen war. Fortan belauschte er Lady Marthas Konversationen mit ihrer alten Bekannten, der verwitweten Lady Jane Brandon vom nahen Brandon Beeches, und erfuhr, daß Sir Williams in im Jahre 1832 eingegangener vierter Ehe zwei Kinder entsprungen waren, ein Knabe namens Phileas und ein Mädchen namens Roxana. Seine vierte Gemahlin, Tochter einer alten und edelblütigen Familie in Devonshire, hatte nach der Scheidung von Sir Williams ein zweites Mal geheiratet. Wen, das wußte Lady Martha nicht; ihre Kenntnisse beruhten lediglich auf ein paar verstreuten Bemerkungen ihres Gatten. Sie wußte jedoch, daß Lady Lorina Sir William so sehr gehaßt hatte, daß sie ihren zweiten Ehemann dazu bewog, die beiden Kinder zu adoptieren. Sir William erhob weder dagegen noch gegen ihren Wunsch, daß er sie und die Kinder niemals wiedersehen solle, irgendwelche Einwände. Aus diesem Grund, versicherte Lady Martha beiläufig Lady Jane, werde Sir Williams Sohn aus zehnter Ehe den Titel des Baronets erben. Seine Kinder aus der Verbindung mit Lady Lorina aber würden gar nichts erben. Natürlich war das auf juristische Schwierigkeiten gestoßen, da gewöhnlich der älteste lebende Sohn Anspruch auf das Erbe besaß, doch diese Schwierigkeiten habe man überwunden.
Über diese und einige andere Informationen, die sie ihm unfreiwillig gab, machte Passepartout sich kaum Gedanken. Als er festgestellt hatte, daß Sir William mit Sicherheit für geraume Zeit dem Schoße der Zivilisation fernbleiben würde, kommandierte der Chef ihn vom Fall ab. Er schickte Passepartout in die Dienste Lord Longsferrys, einem Mitglied des Parlaments (Oberhaus) und Trunkenbolds. (In jenen Tagen war das oftmals so gut wie das gleiche.) Passepartout war verblüfft, als er erfuhr, daß Longsferrys Vorname ebenfalls Phileas lautete. Ein Zufall? Oder bestand ein – und ein zweifellos ruchloser – Zusammenhang mit Sir William und seinen Söhnen gleichen Namens?
Während seines kurzen Aufenthalts im Hause Lord Longsferrys gelang es Passepartout, dafür zu sorgen, daß er regelmäßig einige Zeit im Lesesaal des Britischen Museums zubringen durfte. Um dort Zutritt zu erhalten, war eine Empfehlung erforderlich, doch die gab ihm Longsferry persönlich. Er hatte gelacht, als sein Diener ihm die Bitte vortrug; vermutlich glaubte er, ein Angehöriger der Unterschicht und obendrein Franzose könne wohl unmöglich etwas von intellektuellen Angelegenheiten verstehen. Trotzdem schickte er der zuständigen Behörde einen entsprechenden Brief. Sein Studium führte Passepartout zu der Entdeckung, daß zwischen den Personen namens Phileas ein durchaus deutlicher Zusammenhang bestand, doch zu diesem Zeitpunkt entging ihm dessen wahre Bedeutung. Der Großvater des jetzigen Lord Longsferry war der ursprüngliche Phileas gewesen. Er und William Clayton hatten in ihrer Jugend eine sehr enge Freundschaft gepflegt. Beide standen an der Seite Byrons den Griechen im Unabhängigkeitskampf bei. Der junge
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