Das echte Log des Phileas Fogg
konnten, mußten die niederträchtigen Capellaner vertilgt werden.
Verne verschweigt – Foggs geheimes Log dagegen nicht –, was die Bettlerin für das Geld als Gegenwert gab. Fogg erhielt ein kleines Stück Papier. Es handelte sich um einen Zeitungsausschnitt. Er war nicht nur für jeden Erdling nichtssagend, sondern Fogg wußte ebensowenig damit anzufangen. Der Text umfaßte ein paar Sätze über jenen Bankraub, den man am Abend im Club diskutiert hatte.
Fogg holte seine Uhr heraus und warf scheinbar einen Blick darauf. In Wirklichkeit las er den Artikel; das Papier lag auf dem Uhrglas. Die Wölbung seiner Handfläche nahm jedem außer dem Diener die Sicht auf das Papier, und der gutherzige Franzose schaute aus tränenfeuchten Augen der Bettlerin und ihrem Kind nach.
Natürlich hatte Stuart den Zeitungsausschnitt geschickt. Aber was bedeutete das? Zweifellos betraf es irgendwie ihn, Fogg, und sicherlich würde er in Kürze erfahren, inwiefern; er hoffte, nicht zu spät, um ihm noch von Nutzen sein zu können.
Er klappte den Deckel der Uhr zu und verbarg den Zeitungsausschnitt in ihrem Innern. Später würde er ihn herausholen und ihn schlucken.
Es gab Momente (und dies war einer davon), in denen er sich wünschte, die Verständigung geschehe schneller und umfassender, wenn sie schon auf die verwickelte Methode nicht verzichten konnten. Die knappen verschlüsselten Botschaften ließen ihn oftmals so unkundig wie zuvor, falls sie ihn nicht gar in verstärkte Hilflosigkeit versetzten, und solche Fälle erfüllten ihn unweigerlich mit Unbehagen. Er vermochte es mental abzublocken und seinen Gemütszustand beizubehalten. Der Preis war (einen Preis muß man immer zahlen), daß er Unlustgefühle aller Art regelmäßig entladen mußte. Andernfalls verblieben sie mit unverminderter Intensität in jenem emotionalen Stromkreis des Hirns, wohin er sie verdrängt hatte, und es kam zu einer nach Entladung drängenden Ballung, einer Überlastung des Kanals.
Später erfahrene Unlustgefühle erhöhten den Druck weiter; früher oder später – und je früher, um so besser – mußte er daher eine mentale Schaltung vornehmen und ihre Entladung über die Haupthirnkanäle ermöglichen. Tat er es nicht, kam es zu ernsten Folgen. Der Schmerz und die Hirnschäden waren fürchterlich; so hatte ihm der alte Eridaner versichert, in dessen Obhut er aufgewachsen war, Sir Heraclitus Fogg. Sir Heraclitus kannte das Unheil aus dem Schicksal anderer Eridaner und aus eigener Erfahrung.
Der Baronet, für lange Zeit in einer ganz besonders waghalsigen Situation tätig, hatte seine Furcht und Besorgnis sowie viele andere unangenehme Empfindungen stets abgeblockt. Und eines Tages, kurz nachdem er in den Kanälen von Paris zwei Capellaner getötet hatte, warf das eigene Hirn ihn heimtückisch nieder. Der Schmerz hatte tagelang angehalten, und für ein Jahr war er halb blind und rechtsseitig gelähmt gewesen. Zum Glück hatten ihn Eridaner und nicht Menschen gefunden. Wäre er in einem Hospital untersucht worden, womöglich hätte man ihn als Außerirdischen entlarvt. So etwas war bereits einige Male geschehen, doch jedesmal war es den Eridanern beziehungsweise Capellanern gelungen, die Angelegenheit zu bereinigen.
Fogg war damals erst 10 Jahre alt gewesen. Er entsann sich noch heute seines Kummers und Schreckens, als zwei Eridaner spät in der Nacht seinen Pflegevater in einer verhangenen Kutsche heimbrachten. Der Baronet war sein einziger Fürsorger, der einzige Mensch gewesen, den er zutiefst liebte. Seine Mutter war gestorben, als er erst 4 Jahre alt war, ermordet – so Sir Heraclitus – von Capellanern. Sein leiblicher Vater hatte, wie er wußte, nichts mit ihm zu schaffen haben wollen; also haßte Phileas ihn.
Kurze Zeit nach dem Tod seiner Mutter hatte der Baronet ihm diese und jene Andeutungen zu machen begonnen, ihm nette Geschichten über ferne Orte und fremde Zeiten zu erzählen. Allmählich hatte er Phileas in die Wahrheit eingeweiht. Und so war er aufgewachsen, Erdenmensch von Geburt und Eridaner in Erziehung, Ausbildung und Zuneigung; von letzterer hatte er nicht viel gewußt, bevor man seinen Pflegevater aus Paris heimbeförderte. Der Gedanke, er könne sterben oder gelähmt bleiben, versetzte Phileas einen schweren Schock. Doch einige Minuten später benahm er sich, als wäre nie etwas geschehen. Er hatte das Trauma abgeblockt. Heute noch büßte er dafür. Sir Heraclitus, als er sich weit genug erholt hatte, um zu bemerken,
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