Das egoistische Gen
von Kuckucken angewandten Taktiken der Täuschung und Ausbeutung gegen ihre eigenen Eltern praktizieren; allerdings werden sie dabei nicht so grenzenlos egoistisch sein, wie man es von einem Kuckuck erwarten muß.
Dieses Kapitel wie auch das nächste, in dem wir den Konflikt zwischen Geschlechtspartnern erörtern werden, wirken möglicherweise furchtbar zynisch, und sie mögen schrecklich sein für Menscheneltern, die in inniger Zuneigung an ihren Kindern und aneinander hängen. Ich muß daher noch einmal betonen, daß ich nicht von bewußten Motiven spreche. Niemand behauptet, daß Kinder wegen der eigennützigen Gene, die sie in sich tragen, absichtlich und bewußt ihre Eltern täuschen. Und ich muß wiederholen : Wenn ich etwas sage wie „Ein Kind sollte sich keine Gelegenheit zum Betrügen ...
Lügen, Täuschen, Ausbeuten ... entgehen lassen“, so benutze ich das Wort „sollte“ in einem speziellen Sinne. Keineswegs verfechte ich diese Art von Verhalten als moralisch oder gar wünschenswert. Ich sage lediglich, daß die natürliche Auslese tendenziell Kinder begünstigen wird, die so handeln, und daß wir daher, wenn wir freilebende Populationen beobachten, im engsten Familienkreis Betrug und Eigennutz erwarten müssen. Der Satz „Das Kind sollte betrügen“ bedeutet, daß Gene, die Kinder zum Betrug veranlassen, einen Vorteil im Genpool erringen werden. Wenn für den Menschen eine Moral daraus abzuleiten ist, dann die, daß wir unsere Kinder zur Selbstlosigkeit erziehen müssen, denn wir können nicht damit rechnen, daß Selbstlosigkeit zu ihrer biologischen Natur gehört.
9. Der Krieg der Geschlechter
Wenn es einen Interessenkonflikt zwischen Eltern und Kindern gibt, die 50 Prozent ihrer Gene gemeinsam haben, wieviel ernster muß dann der Konflikt zwischen Gatten sein, die ja nicht miteinander verwandt sind? Das einzige, was sie gemeinsam haben, ist ein genetischer Aktienbesitz von je 50 Prozent an denselben Kindern. Da Vater und Mutter am Wohlergehen verschiedener Hälften derselben Kinder interessiert sind, kann es für beide von Nutzen sein, bei der Aufzucht dieser Kinder zusammenzuarbeiten. Wenn ein Elternteil jedoch ungestraft weniger als seinen gerechten Anteil an wertvollen Ressourcen in jedes Kind investieren kann, so ist er dem anderen gegenüber im Vorteil, da er mehr in weitere Kinder mit anderen Geschlechtspartnern anlegen und auf diese Weise eine größere Menge seiner Gene vererben kann. Man kann sich daher vorstellen, daß jeder Partner den anderen ausbeuten möchte, indem er ihn zu zwingen versucht, mehr zu investieren. Was ein Individuum im Idealfall „gern hätte“ (ich meine nicht physisch gern haben, obwohl das auch sein könnte), wäre, sich mit so vielen Angehörigen des anderen Geschlechts zu paaren wie möglich und die Aufzucht der Kinder dann stets dem Partner zu überlassen. Wie wir sehen werden, hat das männliche Geschlecht bei einer Reihe von Arten diesen Zustand erreicht, bei anderen Arten jedoch sind die Männchen gezwungen, sich mit einem gleich großen Anteil an der Last der Kinderaufzucht zu beteiligen. Diese Auffassung der sexuellen Partnerschaft als einer Beziehung gegenseitigen Mißtrauens und wechselseitiger Ausbeutung ist besonders von Trivers hervorgehoben worden. Sie ist für die Verhaltensforscher relativ neu. Wir haben Sexualverhalten, Paarung und die ihr vorausgehende Werbung bisher meist als ein im wesentlichen gemeinschaftliches Unterfangen angesehen, das zum wechselseitigen Nutzen oder sogar zum Wohle der Art unternommen wird!
Lassen Sie uns bis ganz zu den Anfängen zurückgehen und die eigentliche Natur des Männlichen und des Weiblichen untersuchen. In Kapitel 3 haben wir uns mit der Sexualität befaßt, ohne ihre grundlegende Asymmetrie zu betonen. Wir haben einfach akzeptiert, daß einige Tiere als männlich, andere als weiblich bezeichnet werden, ohne zu fragen, was diese Worte wirklich bedeuten. Was aber ist das Wesen des Männlichen? Wodurch ist ein weibliches Geschöpf prinzipiell gekennzeichnet? Für uns als Säugetiere sind die Geschlechter durch ganze Merkmalskomplexe definiert – den Besitz eines Penis, das Austragen von Jungen, das Säugen mit Hilfe spezieller Milchdrüsen, bestimmte Chromosomenmerkmale und so weiter. Diese Kriterien für das Geschlecht eines Individuums sind schön und gut, was die Säugetiere betrifft, für Tiere und Pflanzen im allgemeinen sind sie jedoch ebensowenig zuverlässig wie die Neigung zum Hosentragen als
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