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Das egoistische Gen

Titel: Das egoistische Gen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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gelingen, den Durchschnitt in den nachfolgenden Generationen zu vergrößern – eine Zeitlang. Wenn wir jedoch in unserer Zucht immer weiter die Individuen einsetzen, die die längsten Ohren haben, so wird ein Zeitpunkt kommen, an dem die erforderliche Variabilität nicht mehr verfügbar ist. Sie werden alle die „längsten“ Ohren haben, und die Evolution wird zum Stillstand kommen. Bei der normalen Evolution ist so etwas kein Problem, da die Umwelt in der Regel nicht durchgehend und unwandelbar Druck in nur eine Richtung ausübt. Die „beste“ Länge für jedes Teil eines Tieres ist normalerweise nicht „ein bißchen länger als der gegenwärtige Durchschnitt, gleichgültig welches dieser gegenwärtige Durchschnitt sein mag“. Die beste Länge ist mit größerer Wahrscheinlichkeit ein bestimmtes Maß, etwa drei Zentimeter. Aber die geschlechtliche Auslese kann tatsächlich die peinliche Eigenschaft haben, ein immer weiter fortschreitendes „Optimum“ zu forcieren. Die Mode bei den Weibchen könnte in der Tat wünschen, daß die Ohren der Männchen immer länger werden, gleichgültig, wie lang die Ohren der gegenwärtigen Population bereits sein mögen. So könnte die Variabilität ernstlich in Gefahr geraten verlorenzugehen. Und doch scheint die sexuelle Auslese funktioniert zu haben; es gibt in der Tat absurd übertriebenen männlichen Schmuck. Wir scheinen es hier mit einem Paradox zu tun zu haben, das wir als das Paradox der verschwindenden Variabilität bezeichnen können.
    Landes Lösung für das Paradox ist die Mutation. Er glaubt, daß es immer genug Mutationen geben wird, um einer anhaltenden Selektion als Treibstoff zu dienen. Man hatte dies zuvor bezweifelt, weil man stets im Sinne jeweils nur eines einzelnen Gens gedacht hatte: Die Mutationsrate an jedem einzelnen Genlocus ist zu gering, um das Paradox der verschwindenden Variabilität zu lösen. Lande erinnerte uns daran, daß „Schwänze“ und andere Dinge, auf die die geschlechtliche Auslese einwirkt, von einer großen Zahl verschiedener Gene – „Polygenen“ – beeinflußt sind, deren geringe Effekte sich summieren. Außerdem wird sich der Satz relevanter Polygene mit dem Fortschreiten der Evolution verändern: Neue Gene werden hinzukommen, die die Variabilität der „Schwanzlänge“ beeinflussen, alte werden verlorengehen. Mutationen können jeden dieser großen und sich verschiebenden Sätze von Genen verändern, so daß das Paradox der verschwindenden Variabilität selbst verschwindet.
    W. D. Hamiltons Antwort auf das Paradox sieht anders aus.
    Er beantwortet es auf dieselbe Weise, wie er heute auf die meisten Fragen antwortet: „Parasiten“. Denken wir wieder an die Kaninchen. Die beste Länge für Kaninchenohren ist vermutlich von verschiedenen akustischen Faktoren abhängig. Es gibt keinen Grund anzunehmen, daß diese Faktoren sich im Verlauf der Generationen anhaltend und in gleichbleibender Richtung verändern. Die beste Länge für Kaninchenohren mag nicht absolut konstant sein, aber die Auslese wird sie kaum so weit in irgendeine spezielle Richtung drängen, daß sie von der im gegenwärtigen Genpool vorhandenen Variabilität nicht mehr ohne weiteres abgedeckt wird. Also kein Paradox der verschwindenden Variabilität. Doch schauen wir uns nun die Art stark fluktuierender Umwelt an, wie Parasiten sie schaffen. In einer Welt voller Parasiten besteht eine starke Auslese zugunsten der Widerstandsfähigkeit gegen diese. Die natürliche Auslese wird jeweils die Kaninchen begünstigen, die am wenigsten anfällig für die zufällig in ihrer Umwelt vorhandenen Parasiten sind. Der entscheidende Punkt ist, daß es nicht immer dieselben Parasiten sein werden. Seuchen kommen und gehen.
    Heute mag es die Myxomatose sein, im nächsten Jahr eine Krankheit, die bei den Kaninchen der Pest entspricht, im Jahr darauf Kaninchen-Aids und so weiter. Dann, vielleicht nach einem Zehnjahreszyklus, ist es erneut die Myxomatose, und der Kreis beginnt von neuem. Oder das Myxomatosevirus selbst mag sich so entwickeln, daß es alle denkbaren Gegenanpassungen der Kaninchen überwindet. Hamilton stellt sich Zyklen von Gegenanpassungen und Gegen-Gegenanpassungen vor, die sich endlos fortsetzen und ständig für neue, völlig veränderte Definitionen des „besten“ Kaninchens sorgen.
    Das Fazit all dieser Überlegungen ist, daß ein wichtiger Unterschied zwischen den Anpassungen zugunsten der Resistenz gegen Krankheiten und Anpassungen an die physische

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