Das Ei und ich
verachten. Die hartschaligen Dungeneß-Krebse sind groß und fleischig und von ganz exquisitem Geschmack. In Seattle und Portland kosteten sie das Stück zwischen dreißig und fünfundsiebzig Cent, je nach Größe. (Heute werden sie pfundweise verkauft, und schon die mittleren kommen auf fünfundachtzig Cent zu stehen.) Wir kauften sie von Indianern, einen ganzen Sack für einen Dollar, und veranstalteten unter uns Nachbarn lustige Krebsgelage, bei denen wir Krebse mit selbstgemachter Mayonnaise, Knoblauch und Worcestershiresauce aßen, bis wir beim besten Willen keinen Bissen mehr hinunterkriegen konnten. Krebs nach allen möglichen Rezepten, mit Tatarsauce, in Butter gedünstet und auf hundert andere Arten widerstand uns nie, und im Sommer fuhren wir manchmal nach Docktown-Bay, einer kleinen Bucht unterhalb Docktowns, wo Flut und Ebbe die Tiere ans Land und wieder wegspülten, und fischten mit langstieligen Netzen vom Boot aus die zappelnden Krebse unter dem Seetang hervor. Mit den Dungeneß-Krebsen ließen sie sich nicht vergleichen, weil die aus tiefen, eisigen, Gewässern gefischt wurden, aber gleich am Strand gekocht und warm gegessen, hatten wir sie gern.
Die kleine Bucht versorgte uns mit Muscheln, den großen Buttermuscheln, die gut gereinigt und dann in Mehl gewälzt und in Butter gedünstet eine Delikatesse waren, und den kleineren, die mehr Eigengeschmack hatten und die wir gedünstet massenweise vertilgten. Docktown-Bay war eine hufeisenförmige, windgeschützte Bucht, in deren Mitte gleich einem dunkelgrünen Fleck eine kleine Insel, nicht mehr als fünfundachtzig Meter lang und vielleicht achtzehn Meter breit, lag. Bei Ebbe war der Wasserstand in der Bucht so tief, daß man über den schlammigen Grund zur Insel hinüberspazieren, die steile Böschung hinaufkraxeln, auf einen der Bäume klettern und sich wie Marco Polo fühlen konnte. Die Insel war ein Kinderparadies, in der Größe gerade recht, um darauf herumzustrolchen, das langsame Nahen der Flut zu beobachten und den Wechsel der Gezeiten schrecklich aufregend zu finden, ohne durch das Naturereignis gefährdet zu sein. Natürlich bildete die Insel das Ziel vieler Picknickausflügler, und fast jedesmal nach einem solchen Anlaß retteten sich ein paar Kinder nicht beizeiten an Land und wurden auf der Insel von der Flut überrascht. Dann trat Sharkey, ein alter Indianer mit einem furchterregenden Kopf wie aus dem Bilderbuch, der am Ufer der Insel gegenüber seine Hütte bewohnte, in Aktion. Er machte sein Boot los, ruderte hinüber und rief mit weithin schallender Stimme: »Komm schon … komm schon!«
Sharkey war es auch, der mir die erste Geoduck verschaffte. Seit meiner Ankunft in Seattle hatte ich Wunderdinge von ihnen vernommen. Die Leute sprachen von Geoducks mit der gleichen Ehrfurcht wie von einer Sonnenfinsternis oder dem Nordlicht. Es sollten Muscheln von riesigen Ausmaßen sein und gleich den Dinosauriern vergangenen Jahrtausenden angehören. Ich hatte gehört, Geoducks müßten des Nachts beim Licht einer flackernden Laterne ausgegraben werden. Ich hatte gehört, Geoducks schössen mit Blitzesschnelle davon, spürte man sie auf, klappten ihre Schalen gleich Kranschaufeln auf und zu und buddelten sich mit ungeahnter Geschwindigkeit in die Tiefen der Erde hinein. Ich hatte gehört, Geoducks könnten nur von einer mit Spaten wohlbewaffneten Equipe unerschrockener Männer ausgegraben werden, die sich mit dämonischer Verbissenheit ans Werk machten. Ich hatte gehört, die einzige Möglichkeit, ihrer habhaft zu werden, sei, mit einer langen Hutnadel ihren fleischigen Hals aufzuspießen und dann unter ihnen die Erde wegzuschaufeln. Und ich hatte gehört, daß sich alle Strapazen lohnten, ja, selbst eine Fahrt über Hunderte von Meilen nicht zuviel wäre, kehrte man mit Geoducks heim, die die zarteste, saftigste, leckerste aller Mahlzeiten lieferten, die das Meer zu vergeben hatte.
Übrigens sprechen die Indianer Geoduck anders aus. Bei ihnen klingt es wie Gooeyduck.
Mit ehrfürchtigem Staunen hatte ich alle Erzählungen über die phantastischen Geoducks hingenommen, wie die meisten Bewohner der nordwestlichen Ecke des Stillen Ozeans, mir aber nicht die Mühe gemacht, das Gehörte auf seine Zuverlässigkeit hin zu prüfen. Als mir Sharkey eines Tages berichtete, er hätte drüben in seiner Behausung eine Geoduck, klopfte mir das Herz vor Erregung bis zum Hals hinauf. Sharkey trabte zu seiner Hütte und kam mit der größten Muschel zurück,
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