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Das Ei und ich

Das Ei und ich

Titel: Das Ei und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
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herunter geneigten blühenden Quittenzweigen spazierenführte. Die vierzehn appetitlichen gelben Wollknäuel Layettes wirkten wie ein Hohn verglichen mit den Hunderten und Aberhunderten piepsenden gelblichweißen, schlecht riechenden, lästigen Plagegeistern, die mein Leben im Frühling zum Angsttraum gestalteten.
    Ich gestehe ehrlich, daß ich die Ankunft unserer Küken kaum erwarten konnte und viele frohe Stunden der Vorfreude damit verbrachte, das Thermometer zu kontrollieren und in der Wärme und Sauberkeit des neuen Bruthauses zu schwelgen. Doch zu meinem Leidwesen mußte ich bald erfahren, daß die kleinen Wesen kreuzdumm sind, abscheulich riechen, regelmäßig Futter und Wasser brauchen und mindestens alle drei Stunden nachgesehen werden müssen. Ihr einziger Lebenszweck schien zu sein, sich unter den Brutkasten zu klemmen und zu ersticken, mit den kleinen kahlen Köpfen zu tief in den Wassernapf zu tauchen und zu ersaufen, zu kaltes Wasser zu trinken und einzugehen und Tuberkulose, Pips oder eine andere Krankheit aufzulesen, die zu schnellem Tod führt. Die unverträglichen kleinen Biester neigten dazu, sich gegenseitig die Augen auszupicken und mit den spitzen Schnäbeln die Pfoten wundzuhacken, bis sie nur noch blutige Stümpfe waren.
    Mein »Führer durch die Hühnerzucht« verkündete im Kapitel »Schutzmaßnahmen« weise: »Manche Küken neigen mehr, manche weniger zum Hacken.« Ich mußte unwillkürlich an Vaters Pilzbuch denken, wo es ebenso lehrreich geheißen hatte: »Manche sind giftig, manche nicht.« Weiter stand in meinem »Führer« zu lesen: »Als Ursachen dieses Wundhackens sind schlechte Lüftung, überfüllte Bruthäuser und Anlage zu Kannibalismus anzusehen.« Unsere Küken hatten frische Luft und reichlich Platz, also fügte ich ihren bereits aufgezählten Eigenschaften noch gemeine Gesinnung hinzu. Wir hegten und pflegten die Küken mit rührender Sorgfalt, und sie erwiesen ihre Dankbarkeit, indem sie schadenfroh darüber wachten, daß möglichst viele von ihnen sich zu Hähnchen entwickelten und der Prozentsatz von Todesfällen hoch gehalten wurde. Für mich steht fest, daß Layettes Kinder sich nie so aufführten, was alle obergescheiten Theorien von Vererbung, hygienischer Umgebung und den Segnungen der Reglementierung über den Haufen wirft.
    Ich tat wirklich alles, was in meinen schwachen Kräften stand, um die Anordnungen des »Führers« bis ins kleinste Detail zu befolgen, obwohl ich dadurch gezwungen war, von drei Stunden immer eine im Bruthaus zu verbringen – Futter abmessen, Wassernäpfe säubern, die Verwundeten und Sterbenden in die für erste Hilfeleistungen eingerichtete Ecke tragen – und mir meine Mußestunden damit zu vertreiben, die zu ihren Hühnervätern eingegangenen Tiere auf ein Brett zu spannen, aufzuschlitzen und abwechselnd das Innere des toten Kükens und eine sehr komplizierte graphische Darstellung zu mustern, um vielleicht dahinterzukommen, warum in aller Welt das Tier abgekratzt war. Aber meist blieb mir die Todesursache schleierhaft, und ich zog mich aus der Verlegenheit, indem ich in die betreffende Rubrik meiner Kükenbuchhaltung neben Datum und Anzahl der Todesfälle schrieb: Hühnerpocken, Eiweißschock und Selbstmord. Las Bob diese Eintragungen, strich er sie durch, ohne eine Miene zu verziehen, und notierte statt dessen: »Todesursache unbekannt.« Männern fehlt jeder Humor, wenn es sich um berufliche Dinge dreht.
    In meinem »Führer« konnte ich nachlesen, wieviel Zeit man brauchte, um für soundso viel Küken Nahrung zu bereiten, und es war ebenfalls genau angeführt, was an jedem Tag der ersten sechs Wochen an Futter zu verabreichen war. Auch die Behandlung des Bodens, der Futternäpfe und Wassertröge vier Wochen vor Einzug der Pensionäre wurde eingehend gewürdigt. Nach meinen Erfahrungen rate ich jedem, der eine Hühnerzucht anfängt, vier Wochen vor Einzug der Küken ins Bruthaus sich einer Reisegesellschaft nach den Baranof-Inseln anzuschließen.
    Ich mag mich noch gut erinnern, wie die Lucrezia Borgia in mir erwachte, als ich an die Stelle in meinem »Führer« kam, wo es heißt: »Ein einziger Schluck kalten Wassers kann für das Küken verhängnisvolle Folgen haben.« Sieh mal einer an, dachte ich, befeuchtete meine fiebrigen Lippen mit der Zunge und warf dem See mit seinen eisigen Fluten einen sehnsuchtsvollen Blick zu. Doch meine verbrecherischen Gelüste wurden von kalter Wut abgelöst, als ich weiterlas: »Angenommen, das Wasser

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