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Das Ei und ich

Das Ei und ich

Titel: Das Ei und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
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eines schönen Geschenks ein Porträt von sich im Abendkleid geschickt hatte. Das Porträt zierte den Tisch, gestützt durch die Zuckerdose und einen Marmeladentopf.
    Sich heftig kratzend und mit der Suppenkelle in der Luft herumfuchtelnd, schimpfte Mrs. Kettle: »Seht euch das nur an! Schön, wie? Sich fotografieren zu lassen, halbnackt wie ’ne Hure! (Das Abendkleid hatte einen sehr dezenten spitzen Ausschnitt.) Und behängt mit Juwelen, die ihr Mann, der Lausekerl, sich kaufen kann, weil er die Regierung besticht. Na, von mir aus kannst du dir deine verdammten Juwelen und deinen verdammten Mann in den Kopf stopfen und –« Ein Leuchten ging über Mrs. Kettles Gesicht. »Ich weiß, wo ich das verdammte Bild hinhäng. Ins Klosett!«
    Mrs. Hicks und ich verabschiedeten uns, doch als wir zum Hof hinausfuhren, hörten wir Maw Kettle bereits mit wuchtigen Schlägen das Bild der abendkleidgeschmückten Schwester an die Wand des Klosetts nageln.
    Mrs. Hicks forderte mich auf, doch auf einen Sprung mit zu ihr zu kommen, um ihre Kükenzucht anzusehen und eine Tasse Kaffee mit ihr zu trinken. Selbstverständlich zögerte ich keine Sekunde zuzusagen, und wir sausten an unserer Farm vorbei und den Berg hinunter auf die andere Seite zu den Hicks.
    Zum Kaffee, einem wundervoll duftenden, starken Gebräu mit viel Rahm, gab es herrliche, dicke, von Fett triefende, entsetzlich schwer verdauliche Waffeln. Mrs. Hicks schien ihre Tage damit zu verbringen, Teig zu kneten, Streifen auszuschneiden, sie zusammenzurollen, in heißes Fett zu werfen und zwei Minuten später als goldgelbe Waffeln herauszunehmen, die sie mit Puderzucker überstreute und einem Klecks Konfitüre krönte. Sie schmeckten ausgezeichnet, und ich aß, obwohl sie es »in sich hatten«, wie ich das zu nennen pflege, drei Stück und Mrs. Hicks sogar fünf, bevor wir uns zum Bruthaus begaben. Als ich in jugendlichem Übermut von der Küchenterrasse hinuntersprang, bemerkte ich, daß sich in meinem Magen ein Kugellager angesammelt hatte. Die fetten Waffeln rollten sich von einer Seite zur anderen und bewirkten ein Gefühl der Seekrankheit bei mir. Ich warf Mrs. Hicks einen prüfenden Blick zu, aber sie segelte unverzagt vor mir her gleich auf der Wanderung begriffenem Distelflaum. Distelflaum hin oder her, ich revidierte meine Meinung von ihrer Leber und gelobte, in Zukunft um meine eigene etwas besorgter zu sein.
    Mrs. Hicks’ Bruthaus roch so stark nach Desinfektionsmitteln, daß mir die Augen tränten. Die Küken sahen aus, als seien sie nicht aus Eiern gekrochen, sondern von blitzblanken Brettern geboren, und hockten trübselig in ihrem tadellosen, blitzblanken Heim.
    Auf der Heimfahrt drückte ich an den unebenen Stellen der Straße die Hände gegen den Magen, um die Waffeln am Herumkollern zu hindern; bei den Kurven blieb mir nichts anderes übrig, als dem Gewicht nachzugeben und nach rechts oder links zu rutschen, je nachdem, wohin sich das Kugellager aus Teig neigte. Mrs. Hicks fühlte sich pudelwohl und plapperte munter drauflos. Ich fragte sie, wie hoch bei ihren Küken der Prozentsatz der Sterbefälle sei, und vernahm erstaunt, daß von fünfhundert Küken nur fünf eingegangen seien. »Die fünf starben am Tage nach ihrer Ankunft. Ich wußte nicht, ob sie etwas Ansteckendes gehabt hatten oder nicht, und tat auf alle Fälle ein Desinfektionsmittel ins Trinkwasser, und der Rest kam wunderbar durch.« So behauptete Mrs. Hicks, aber ich war innerlich davon überzeugt, daß sie die Küken mit einem Gongschlag zusammenrief, ihnen eine energische Standpauke hielt und sie auf die Folgen ihrer Unbotmäßigkeit aufmerksam machte, sollte es einem weiteren Küken einfallen, krank zu werden. Aus lauter Angst vor Vergeltungsmaßnahmen blieben die Küken gesund.
    Mrs. Hicks war wirklich eine bemerkenswerte Frau. Sie war mager und sah nicht sehr widerstandsfähig aus, aber sie schuftete vom Morgen bis zum Abend. Mich machten schon die Berichte ihrer täglichen Leistungen müde. Die Küken, Truthähne, Enten, Eier, Schweine und Kälber waren ihrer alleinigen Obhut anvertraut; außerdem besorgte sie noch das Haus, das sie sauber hielt wie einen Operationssaal, und das Backen, Kochen, Waschen, Bügeln und Nähen. Während des Winters arbeitete Mr. Hicks wie die meisten Farmer in Holzfällerlagern, um zusätzlich etwas zu verdienen. In dieser Zeit mußte Mrs. Hicks noch morgens und abends zehn Kühe melken, die Milch abrahmen, die Pferde füttern und mit Wasser versehen und

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