Das Einhornmädchen Vom Anderen Stern
Rafik seine Begeisterung über die Schönheiten angewandter linearer Programmierung nicht teilte, aber andererseits mußte es wohl solche und solche geben, nicht wahr? Leise vor sich hin pfeifend, nahm er eine der vom Bankenzweig des Li-Konsortiums betriebenen Parallelrechnereinheiten in Beschlag, plünderte in einem anderen Geschäftszweig Statistikanalyse-Software, die umfunktioniert werden konnte, um seinen Zwecken zu dienen, und setzte die Arbeit fort, sein ureigenes astronomisches und bergbautechnisches Optimierungsprogramm
zusammenzustellen. Während der letzten Wochen hatten sich seine Gesprächsbeiträge bei den Mahlzeiten auf rätselhafte Bemerkungen beschränkt, wie beispielsweise: »Ich hätte es schon geschafft, wenn ich nicht zuerst die Datenstrukturen von all diesen verdammt verschiedenen Sternkarten in kanonische Form bringen hätte müssen«, oder: »Nein, die Tatsache, daß es in einer unendlichen Schleife feststeckt, bedeutet keineswegs, daß das Programm nicht funktioniert; es ist nur in einen Zustand eingetreten, mit dem ich bislang noch nicht vertraut war.« Und wann immer er damit bei Judit durchkam, ließ er Mahlzeiten sogar ganz ausfallen, zugunsten von kurzen Happen, die er einhändig verdrücken konnte, während er sich in dem fensterlosen Raum, der ihm für das Projekt zur Verfügung gestellt worden war, mit der anderen Hand durch die visuellen Darstellungen seines Programms bewegte.
Jetzt, endlich, erhielt er allmählich Ergebnisse. Vielleicht noch nicht ganz überzeugend, aber nichtsdestoweniger Ergebnisse. Er nahm Gills aufgeregte Schilderung des Mordanschlags und seiner Nachwirkungen daher kaum zur Kenntnis: »Tapha ist tot? Gut, das ist eine Person weniger, die hinter uns her ist.«
»Und ich glaube, Rafik hat sich mit Des Smirnoff wieder vertragen. Also werden uns die Hüter des Friedens auch nicht mehr belästigen. Calum, du hättest echt sehen sollen, wie Smirnoff diese Wolframbombe entschärft hat! Der Mann mag ja ein korrupter Polizist sein, aber in meinem Bombenräumkommando wäre jederzeit ein Platz für ihn frei.
Da erzähl mir noch mal jemand was von Stahlnerven!«
»Mmm. Gute Sache, daß er sie entschärft hat«, meinte Calum gedankenverloren, in den letzten Computerausdruck vertieft.
»Eine Bombe wie die hätte einen großräumigen Stromausfall, sogar bis hierher verursachen können, nicht wahr? Ich hätte eine Menge Daten verlieren können.«
Gill schlug vor, daß Calum seine Daten nehmen und mit ihnen etwas anatomisch Unwahrscheinliches anstellen solle, und stampfte dann davon, um ein Publikum zu finden, das ihn mehr zu schätzen wußte. Calum registrierte sein Verschwinden kaum; er dachte statt dessen über Möglichkeiten nach, wie er die lange Liste der für eine Überprüfung in Frage kommenden Planeten zusammenstreichen könnte. Die Schwierigkeit mit seinem Geistesblitz war nämlich, daß sie von null Kandidaten auf nun über einhundert angewachsen waren, keiner davon in günstig erreichbarer Nähe. Natürlich würden sie nicht in der Nähe liegen. Er schnaubte verächtlich über seine eigene Naivität. Lägen sie in der Nähe, wären wir Acornas Volk schon längst begegnet. Und er konnte zwar womöglich keinen der Kandidaten von dieser langen Liste streichen, aber er konnte ihnen für die Suche wenigstens eine Rangfolge zuordnen, indem er einen zweiten Optimierungsdurchlauf vornahm, dieses Mal mit dem Ziel der Minimierung der für eine Erkundung erforderlichen Gesamtreisezeit und -strecke. Das wäre nur eine einfache Variante der klassischen Handlungsreisenden-Problemstellung.
Die einzige Schwierigkeit war: was denn? Calum brannte darauf, seine Ergebnisse auf die Probe zu stellen. Und die einzige Möglichkeit, die er sah, um das zu tun, hieß loszugehen und selbst nachzusehen. Delszaki Li würde zwar wahrscheinlich bereit sein, die
Uhuru
mit
Hochgeschwindigkeitsantrieben nachzurüsten, was die
Reisezeit verkürzen würde. Aber es wäre immer noch ein Fünf-Jahres-Projekt, auch nur die nächstgelegene Gruppe der in Frage kommenden Planeten zu überprüfen. Wie könnte er seine Kameraden im Stich lassen und ihnen ihr Schiff für fünf Jahre wegnehmen? Rafik und Gill brauchten ihn; keiner von ihnen war Mathematiker genug, um die Subraum-Navigation ohne seine Hilfe bewerkstelligen zu können.
Calum wachte erst aus seiner ureigenen Traumwelt auf, als ihm auffiel, daß er Rafik nicht gesehen hatte, und so fragte er beim Frühstück, ob Rafik umgezogen sei und
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