Das einsame Haus
Mensch.
Schließlich klingelte ich an der Haustür.
Ich hörte die Resolute angeschlurft kommen, das Licht über der Tür flammte auf, blendete mich, und dann öffnete sich die Tür einen schmalen Spalt.
»Was wollen — ach, Sie sind es!« Sie kam plötzlich herausgeschossen wie ein verwundetes Nashorn. »Sie... Sie Kerl! Sie sind schuld an allem! Was hat mein Arnold mit der Polizei zu tun? Was geht es ihn an, wenn jemand ermordet worden ist? Mitgenommen haben sie ihn, und das alles ist nur Ihre Schuld!«
Sie hatte die resoluten Fäuste geballt und schien nicht wenig Lust zu haben, sie mir in die Magengegend zu boxen. Ehe sie jedoch dazu kam, sagte ich:
»Ich weiß, daß Ihr Mann unschuldig ist. Ich bin gekommen, um ihm aus der Patsche zu helfen, in die er sich laviert hat.«
Sie schnaufte ein paarmal tief auf, dann fuhr sie sich mit dem resoluten Handrücken über die Augen und öffnete die Tür.
»Kommen Sie ‘rein.«
Sie machte Licht im Wohnzimmer, zog die Vorhänge zu und deutete auf einen Sessel, auf dessen Armlehnen kleine Spitzendeckchen befestigt waren.
Ich setzte mich und sagte:
»Ihr Mann hat mir alles erzählt. Er hat die Miete für das bewußte Haus bezahlt, aber nicht aus seiner Tasche.«
»Quatsch«, unterbrach sie mich. »Ich merke doch schon die ganze Zeit, daß er einen Haufen Geld heimlich verbraucht. Er hat dort Orgien mit irgendwelchen Flittchen gefeiert. Ganz recht geschieht ihm, daß sie ihn einsperren.« Sie machte eine resolute Handbewegung. »Schauen Sie sich doch um: hat er es hier nicht gut? Ich sorge und schufte für ihn, halte die Wohnung in Ordnung, mache die ganze Gartenarbeit, und er geht hin und legt sich mit Weibern ins Bett.« Plötzlich schlug ihre resolute Stimmung wieder um. »Und jetzt«, schluchzte sie, »jetzt muß er hinter Gittern sitzen. Du liebe Güte, so schlimm ist es ja auch wieder nicht, wir sind schon seit vierundzwanzig Jahren verheiratet, unser Sohn hat sein eigenes Geschäft, und da kann er doch mal...«
Ich unterbrach diesen Strom.
»Wo ist Fräulein van Straaten?«
Sie schaute mich eine Sekunde lang entgeistert an, dann sprang sie, trotz ihrer Körperfülle erstaunlich behende, auf beide Beine und stemmte die Fäuste in die Gegend, wo bei den meisten Frauen eine Taille vorhanden ist.
»Ah!« schrie sie mich an. »Ist das eine von diesen Weibern?«
»Davon habe ich nichts gesagt. Ich habe nur gefragt, ob Sie wissen, wo sie ist.«
Ihre kleinen Augen sprühten Galle.
»Sodom und Gomorrah! Glauben Sie wirklich, ich wüßte über die Verhältnisse meines Mannes auch noch Bescheid? Dauernd hat er was zu Schnäbeln gehabt, der feine Herr, aber da hat er den Mund gehalten, kein Wort hat er gesagt von dem Haus und der Miete und den Weibern. Na, mindestens eine Woche sollen sie ihn dort behalten, bei Wasser und Brot und auf einer Holzpritsche, damit ihm die Gedanken an seine Flittchen vergehen. Sie können...«
Ich stand auf. Vor Naturkatastrophen flieht ein vernünftiger Mensch.
»Vielen Dank, Frau Schwenk. Ich habe jetzt keine Zeit mehr.«
»Was? Jetzt wollen Sie gehen? Wer ist denn dieses Fräulein von Straaten?«
»Van Straaten, ich weiß es auch nicht genau. Ihr Wagen steht draußen vor der Tür.«
Wie eine Lokomotive setzte sich Frau Schwenk in Bewegung, war einfach nicht mehr abzubremsen, weder mit Worten noch mit meinen schwachen Kräften.
»Der hau ich den Kühler kaputt!« schrie sie. »Und die Luft laß ich ihr aus allen vier Reifen, und die Polizei hole ich wegen öffentlichen Ärgernisses, und dann reiß ich ihr die Haare aus und...«
Bei Nashörnern und dicken Frauen irrt man sich immer wieder in bezug auf ihre Fähigkeit, sich schnell zu bewegen. Frau Schwenk war vor mir am Gartentor, hatte es vor mir aufgerissen und schaute mich dann ratlos an.
»Was soll das, junger Mann? Wo steht da ein Wagen?«
Es stand tatsächlich keiner da. Der kleine weiße Wagen war verschwunden.
Ich war ganz froh, daß ich jetzt mein eigenes Gesicht nicht sehen mußte. Wie ein kleiner Schuljunge sagte ich: »Vorhin, als ich hierher kam, stand er noch da.«
Mit dem Gefühl, daß mich die kleine van Straaten ganz schön an meiner ziemlich langen Nase herumgeführt hatte, schlenderte ich zu meinem Wagen, und als ich gerade einsteigen wollte, explodierte irgendwas in oder auf meinem Kopf. Ich sah viele kleine Sternchen in bunten Farben vor meinen Augen tanzen, und dann sah ich gar nichts mehr...
Zuerst erkannte ich die mir vertrauten Umrisse meines
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