Das einsame Haus
irgendwo der Wurm drin sein. Sind Sie mit Fred Möhnert befreundet?«
Ihre Augen waren still auf mich gerichtet, als versuchten sie, zu lesen, was in meinen stand. »Ja«, sagte sie endlich.
»Und jetzt haben Sie Angst, es könnte herauskommen, daß er seinen Vater...«
»Nein!« rief sie.
Die Liebespärchen um uns herum fuhren hoch. Das kleine Liebestempelchen ist so laute Ablehnung nicht gewöhnt.
»Nein«, wiederholte sie tonlos, »für Fred würde ich meine Hand ins Feuer legen.«
»Sie lieben ihn?«
»Ja. Jetzt wissen Sie es.«
»Und wenn er die Zettel geschrieben hätte, wenn er mich anrief? Wenn er wirklich seinen Vater getötet hat? Die beiden haben sich doch nicht vertragen, soviel ich weiß.«
Sie stand auf.
»Bitte, lassen Sie mich jetzt gehen. Ich — muß jetzt allein sein und über alles nachdenken. Es ist schrecklich.«
»Wie Sie wollen. Wo steht Ihr Wagen?«
»Drüben, am Chinesischen Turm.«
»Schade«, sagte ich. »Ich habe meinen beim Seehaus geparkt.« Ich streckte ihr meine Hand hin. »Auf Wiedersehen. Und wenn es Ihnen etwas hilft: Ich halte Sie weder für eine Mörderin noch für die Mitwisserin. Aber es könnte sein, daß Sie jemand mißbraucht. Halten Sie die Augen auf, und wenn Sie irgendwas erfahren, lassen Sie es mich wissen. Wollen Sie mir das versprechen?«
Sie wandte sich wortlos um und ging den kleinen Hügel hinunter. Da mein Wagen auch am Chinesischen Turm stand, folgte ich ihr unauffällig in einigem Abstand. Ich sah, wie sie in ihren kleinen weißen Fiat stieg und davonfuhr. Ich folgte ihr mit meinem Wagen.
Sie fuhr die Isar entlang bis Thalkirchen, dort den Berg hinauf, nahm die Wolfratshauser Straße und bog nach Solln ein. Ich blieb weit hinten, damit ihr meine Scheinwerfer nicht auffallen konnten. Sie fuhr an der Apotheke vorbei, bog zwei Straßen weiter links ab, und plötzlich ahnte ich, wohin sie fahren würde.
Ich ließ meinen Wagen stehen und ging das letzte Stück zu Fuß. Meine Ahnung hatte mich nicht getrogen: ihr Wagen stand vor dem Haus des Waschmittelvertreters Arnold Schwenk!
5
Ich zündete mir erst mal eine Zigarette an, um diese Überraschung besser zu verdauen. Was hatte die kleine van Straaten mit Arnold Schwenk zu tun?
Plötzlich wurde mir klar, daß Schwenk gar nicht mehr hier sein konnte, denn ich entdeckte nirgends den Kripobeamten in Zivil, den Inspektor Wendlandt vor Schwenks Haus postiert hatte. Demnach hatten sie Schwenk schon mitgenommen...
Nun hätte ich eigentlich etwas tun müssen, was die Polizei und das Gesetz von jedem guten Staatsbürger erwartet: Ich hätte helfen müssen, einen Mord aufzuklären. Das würde bedeuten, daß ich von der nächsten Telefonzelle aus die Kripo von meiner Entdeckung verständigen mußte. Man würde kommen und Anna van Straaten festnehmen. Man würde sie in Untersuchungshaft sperren, sie immer wieder verhören, und sie würde immer wieder beteuern, nichts von dem Mord zu wissen. Dieses für die Kleine zermürbende, für die Polizei nicht weiter belastende Verfahren konnte sich über Wochen, sogar über Monate hinziehen, so lange eben, bis der wahre Mörder gefunden war.
Sie tat mir leid. Irgendwie hatte sie mir gefallen, und ich hatte ihr geglaubt.
Ich beschloß, ausnahmsweise einmal kein guter Staatsbürger zu sein.
Langsam ging ich auf den Wagen zu, und je näher ich kam, desto mehr fühlte ich mein Herz köpfen, als warte ich auf eine neue, entsetzliche Überraschung.
Sie kam nicht. Der Wagen war leer, seine Türen verschlossen.
Ich schaute übers Gartentor und sah Licht in einem der Erdgeschoßzimmer.
Da tat ich wieder etwas, was einem guten Staatsbürger nicht erlaubt ist: Weil das Gartentor verschlossen war, kletterte ich drüber, vermied den Weg zum Haus und schlich, von dichtem Gebüsch gedeckt, zu dem erleuchteten Fenster. Die Vorhänge waren zugezogen, doch klafften sie eine Handbreit auseinander. Auf Zehenspitzen stehend konnte ich hineinschauen.
Es war eine blitzsauber aufgeräumte Küche. Mitten drin, auf dem weißen Küchentisch, standen eine Kaffeekanne und zwei Tassen. Vor einer der Tassen hockte Frau Schwenk, die so resolute Dame, und rührte im Kaffee. Tränen rannen ihr über die Backen, und sie sah jetzt gar nicht mehr so resolut aus.
Nirgends eine Spur von Schwenk, erst recht nicht von Anna van Straaten...
Ich schlich ums ganze Haus herum, warf sogar einen Blick in die Garage, wo ein Wagen der Mittelklasse stand, aber überall tiefste Stille und kein
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