Das einsame Haus
zum Rotkehlchenweg 19. Es war ein kleines, modernes Haus in einem großen Garten mit alten Bäumen. Auf mein Klingeln öffnete mir ein alter Herr.
»Ist Fräulein van Straaten zu Hause?« fragte ich.
»Ja, aber sie ist krank. Ich weiß nicht, ob Sie Besuch...«
»Sagen Sie ihr bitte, es gehe um Herrn Möhnert. Ich heiße Brenthuisen.«
Er verschwand wortlos. Hinten im Garten, unter hohen Fichten entdeckte ich eine Garage mit offenen Toren. Es stand ein grauer Wagen drin, und neben der Garage stand der kleine weiße Wagen. Der alte Herr kam wieder.
»Fräulein van Straaten bedauert, aber sie fühlt sich nicht wohl genug, um Besuch zu empfangen.«
Ich zog mein Notizbuch und schrieb:
Freddy ist verhaftet worden. Die Polizei wird auch Sie festnehmen, ich möchte Ihnen helfen.
Ich riß die Seite heraus und kniff sie so, daß der alte Herr nicht lesen konnte, was ich geschrieben hatte.
»Bitte geben Sie ihr das. Sie wird mich dann bestimmt empfangen.«
Der alte Herr nahm den Zettel und verschwand wieder im Haus. Als er wiederkam, schüttelte er den Kopf.
»Nichts zu machen, junger Herr. Sie will keinen Menschen sehen. Sie hat Fieber.«
Ich packte den alten Herrn blitzschnell an der Krawatte und zog ihn nahe zu mir heran.
»Hören Sie mal, alter Freund, die Tour zieht bei mir nicht. Anna ist gar nicht hier. Wo ist sie? Raus mit der Sprache, oder ich verständige sofort die Polizei.«
Ich blickte in das Gesicht eines erschrockenen Kaninchens.
»Ich... ich... sie hat mich gebeten, keine Auskunft zu geben, sie ist zu Fuß fortgegangen, ich weiß wirklich nicht, wohin. Teufel noch mal, das hat man nun davon, wenn man jemandem eine Gefälligkeit erweist.«
»Es wird sich herausstellen«, sagte ich, »ob das eine Gefälligkeit gewesen ist. Wenn Sie unbedingt wollen, daß sie in des Teufels Küche kommt, dann verzapfen Sie diesen Quatsch auch nachher, wenn die Polizei kommt.«
»Die Polizei?« Sein Gesicht wurde womöglich noch entsetzter. »Sie hat mir gesagt, daß...«
»Servus«, sagte ich und rannte zu meinem Wagen.
Eine Sekunde nahm ich den Fuß vom Gaspedal, als ich an dem einsamen Haus am Waldrand vorbeifuhr. Nein, hier würde sich Anna van Straaten nicht verstecken, das wäre für sie zu gefährlich. Also fuhr ich weiter, ließ meinen Wagen auf einem Waldweg in der Nähe des Dorfes stehen und pirschte mich zu Fuß bis nahe an den Hof der alten Hilbinger heran. Hinter einem mächtigen Holunderbusch blieb ich stehen und beobachetete das Haus.
Es schien ausgestorben zu sein. Nichts war zu sehen oder zu hören.
Ich wartete und wagte es nicht, mir eine Zigarette anzuzünden. Und da sah ich sie, oder besser: ich sah, wie sich etwas hinter dem Vorhang in der Wohnstube bewegte.
Ich schlich zum Stall, öffnete leise die Tür, fand die Verbindungstür vom Stall zum Wohnhaus nicht verschlossen, und lautlos trat ich in den kühlen, dämmrigen Hausflur mit dem sauber gescheuerten Steinboden.
Dann öffnete ich mit einem Ruck die Tür zur Wohnstube.
Anna saß auf der Ofenbank. Ihre Augen waren vor Schreck weit geöffnet, ihr Gesicht leuchtete vor Blässe.
»Verzeihung«, sagte ich und schloß die Tür hinter mir. »Ich mußte Sie so taktlos überrumpeln, sonst wären Sie mir womöglich davongelaufen, und ich hätte die ganze Sucherei von neuem beginnen müssen. Darf ich mich setzen?«
Ohne ihre Antwort abzuwarten, zog ich mir einen hölzernen Bauernstuhl heran, setzte mich und zog meine Zigaretten aus der Tasche.
»Rauchen? Manchmal beruhigt eine Zigarette, und mir scheint, Sie brauchen jetzt dringend eine.«
Sie nahm eine, und ich gab ihr Feuer. Dann sagte ich: »So, und jetzt erzählen Sie mal.«
»Was soll ich Ihnen erzählen?«
»Alles. Sie wissen, daß Freddy Möhnert verhaftet worden ist?«
»Ja. Wir waren heute früh verabredet, und als er nicht kam, wußte ich, was passiert war.«
»Er sitzt verdammt tief in der Tinte. Sie übrigens auch. Ich glaube, Sie sollten mir ein wenig Vertrauen schenken, wenn Sie es schon nicht zur Polizei haben. Freddys Vater wurde ermordet, die alte Frau Hilbinger auch, und jetzt auch noch Vera Möhnert. Was wißt ihr beide? Was hat Freddy in dem Haus gesucht?«
»Vera wollte flüchten«, sagte sie. »Freddy hat einen Freund am Flughafen, der hat ihn angerufen und gesagt, daß Vera einen Flug nach Paris gebucht hat. Am Samstagmorgen wollte sie fliegen.«
»Und Freddy dachte, daß sie seinen Vater vergiftet hat?«
Sie nickte, ohne mich anzusehen.
»Ja. Wir dachten es
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