Das einsame Haus
wollte, noch daß ich Vera Möhnert erschossen habe. In einer Stunde treffe ich mit dem Mann zusammen, der sein Wissen und meine Liebe ausgenützt hat, seine Ziele zu verwirklichen. Ich weiß nicht, wie diese Begegnung verlaufen wird, aber ich weiß, daß er Vera Möhnert erschossen hat. Und Herr Brenthuisen weiß, daß er versucht hat, auch mich zu erschießen. Ich werde ihm heute nacht zuvorkommen. Alle Vorbereitungen zu meiner Flucht sind getroffen. Ich denke, man wird mich nie finden. Ich wäre glücklich, wenn Sie und Herr Brenthuisen sich meiner Tochter Anna annehmen könnten. Sie wird Rat und Hilfe brauchen. Im voraus meinen Dank.
Ihre Antonia Paola van Straaten.
Nelly hatte über meine Schulter mitgelesen. Ich warf den Brief auf den Tisch und zog Nellys Kopf an mein Gesicht.
»Was hältst du von diesem Brief, Liebling?«
Sie stieß mich leicht von sich.
»Du Scheusal! Selbst in Situationen, wo anderen Männern vor Verlangen die Sinne schwinden, denkst du nur an Kriminalfälle! Ich wünsche nichts so sehr, als daß diese Frau auch entkommt. Sie wird gewußt haben, warum sie Möhnert umbrachte und...« Sie brach ab, ihr Blick wurde auf einmal ganz starr, dann fiel sie mir um den Hals und schluchzte: »Dich ja auch, Hänschen! Sie wollte dich ja auch vergiften! Ich... ich weiß nicht mehr, was ich ihr wünschen soll.«
»Stell dir vor, sie wäre deine Mutter.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Das will ich mir gar nicht vorstellen. Immerhin hat sie recht: wir werden uns um Anna kümmern. Hat sie ein Telefon?«
»Ja.«
Nellys Augen wurden mißtrauisch.
»Woher weißt du das? Hast du sie angerufen, ohne daß ich etwas davon weiß?«
»Nein, das habe ich nicht. Aber ich könnte es jetzt...«
Ich griff nach dem Telefonbuch. Im gleichen Augenblick fiel mir jedoch ein, daß ich den Namen des Hausbesitzers nicht wußte. Da ich aber die Hausnummer hatte, erhielt ich die Nummer von der Auskunft. Anna war zu Hause. Als sie sich meldete, klang ihre Stimme klein und verängstigt.
»Anna, wissen Sie irgend etwas von Ihrer Mutter?«
»Nein, gar nichts.«
»Keinen Brief, nichts?«
»Gar nichts. Ist etwas... wissen Sie etwas?«
»Buchinger ist tot.«
»Vergiftet?« Es klang wie ein Aufschrei.
»Nein, erschossen worden. Mit der gleichen Pistole, mit der auch Vera Möhnert erschossen worden ist.«
Einen Atemzug lang war Stille im Hörer. Dann sagte sie erleichtert:
»Gott sei Dank. Dann hat es meine Mutter nicht getan.«
»Nein«, sagte ich. »Das glaube ich auch nicht. Aber machen Sie sich darauf gefaßt, daß Wendlandt Sie wieder abholt.«
»Warum? Glaubt er etwa, meine Mutter hätte Buchinger erschossen?«
»Ich fürchte ja. Außerdem: es bleibt dabei. Ich habe ihm gesagt, daß wir heute nacht zusammen gewesen sind, verstanden?«
»Ja, natürlich«, sagte sie. Ich versuchte noch, sie zu trösten, aber meine Worte klangen mir selber fade und abgedroschen in den Ohren.
Als ich einhängte, begegnete ich Cornelias fragendem Blick.
Ich erzählte ihr, was sich nachts und heute morgen zugetragen hatte, dann griff ich wieder zum Telefon und rief Wendlandt an.
11
An Wendlandts knurriger Stimme hörte ich nur allzu deutlich, daß er sich alles andere eher wünschte, als ein Gespräch mit mir.
»Inspektor, ich habe noch ganze fünfhundert Mark auf der Sparkasse. Die stifte ich für Ihre Witwen- und Waisenkasse, wenn Sie mir eine einzige Frage vernünftig beantworten.«
»Quatschen Sie nicht«, murrte er. »Was wollen Sie wissen, Sie Blutegel?«
»Können Sie mir einen plausiblen Grund dafür nennen, warum sich ein erwachsener Mensch am frühen Morgen auf der Großhesseloher Brücke erschießen läßt, wenn er ein Auto hat und damit nach Hause nach Solln fahren konnte?«
Eine Weile blieb es in der Leitung still, dann knurrte er:
»Darüber zerbreche ich mir schon die ganze Zeit den Kopf.«
»Fein, dann habe ich fünfhundert Mark verdient. Wo ist denn sein Wagen geblieben?«
»Den suchen wir.«
»In seiner Garage steht er nicht?«
»Nein.«
»Dann finden Sie ihn vielleicht draußen beim einsamen Haus.«
Er seufzte hörbar.
»Nein, da steht er auch nicht. Wir haben dort schon nachgeschaut. Übrigens, wenn es Sie interessiert: ich habe vorhin Freddy Möhnert laufen lassen.«
»Ach nein? So plötzlich? Demnach ist er jetzt nicht mehr gefährdet?«
»Was weiß ich«, brummte er. »Der Haftrichter hat ihn laufen lassen. Buchinger ist mit der gleichen Waffe erschossen worden wie Vera Möhnert, und Freddy
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