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Das einzige Kind

Das einzige Kind

Titel: Das einzige Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Ein
    Klebestreifen zog sich ordentlich über ein Stück Pappe hin, auf dem in klarer, ansehnlicher Handschrift der Name stand. Hanne Wilhelmsen wollte schon auf den Klingelknopf drücken, trat dann aber noch einmal einige Schritte zurück, unter dem kleinen Dach hervor, und starrte an der Fassade hoch.
    Der Block bestand aus vier Etagen, und in jeder gab es offenbar zwei Wohnungen. Hanne versuchte zu raten, auf welcher Seite wohl die der Håkonsens lag. Es gelang ihr nicht, und sie beschloß zuerst wieder nach Hause zu fahren. Aber dann ging sie doch zu den Klingeln und drückte entschlossen auf den Knopf.
    Da es in der Gegend so erstaunlich still war – zu hören waren lediglich das ferne Rauschen der Autobahn und ein monotones Hämmern von einer ein Stück entfernt gelegenen Baustelle –, hörte sie irgendwo im Haus ein Läuten. Sehr leise, aber dennoch ein deutliches Klingeln. Niemand reagierte. Sie war erleichtert.
    Sie wollte schon aufgeben, als aus der rauschenden Gegensprechanlage eine Stimme ertönte.
    »Hallo?«
    »Hallo, hier ist … ich heiße Hanne Wilhelmsen. Ich bin von der Polizei. Darf ich reinkommen?«
    »Hallo?«
    Hanne beugte sich zur grauen Metallplatte vor, die Lautsprecher und Mikrophon gleichzeitig war.
    124
    »Ich bin Hanne Wilhelmsen«, rief sie übertrieben deutlich.
    »Ich komme von der Polizei. Dürfte ich vielleicht …«
    In der Wand klickte etwas. Hanne Wilhelmsen fuhr
    zusammen. Aber das Türschloß summte nicht. Leicht genervt schellte sie noch einmal.
    Diesmal kain keine Antwort. Nach einer Minute drückte sie zehn Sekunden lang wütend auf die Klingel.
    Die Sprechanlage blieb stumm. Aber ehe Hanne noch einmal klingeln konnte, ging der Türsummer. Vorsichtig griff sie nach der kalten Metallklinke und drückte gegen die Tür. Sie war offen.
    Im Treppenhaus roch es nach Wohnblock; eine Mischung aus allen möglichen Mahlzeiten, Putzmitteln und Abfall. Auf dem Weg zur Treppe registrierte sie den Gestank von Babywindeln, der aus einer verknoteten Plastiktüte neben der Fußmatte drang.
    Kein Empfangskomitee erwartete sie. Die Tür war abweisend geschlossen, aber dieselbe Handschrift wie unten neben der Klingel teilte mit, daß sie vor der richtigen Wohnung stand.
    Hanne seufzte und klingelte noch einmal. Augenblicklich wurde die Tür geöffnet.
    Die Frau in der Türöffnung bot wirklich einen verblüffenden Anblick. Sie trug einen riesigen Trainingsanzug, der ihre seltsame Figur jedoch nicht verbergen konnte. Sie war um die Hüften fast so breit, wie sie groß war. An den Füßen trug sie kleine Pantoffeln aus Seehundsfell, die verrieten, daß ihre Füße in keinem Verhältnis zu ihrem Körper standen. Sie hatte schwarze, struppige Haare, ein kreisrundes Gesicht und einen dunkelroten Mund.
    Aber das Bemerkenswerteste waren die Augen. Sie sahen klein aus, lagen aber so tief, daß man sie nur schwer deuten konnte. Die Wimpern waren lang und bogen sich fast einen Zentimeter lang um die fetten Lider. Sie schienen aus zwei kleinen Hohlräumen im Kopf herauszuwachsen.
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    Die Frau regte sich nicht, sagte nichts. Hanne Wilhelmsen machte einen kleinen Schritt nach vorn, in der Hoffnung, daß die Frau beiseite treten würde, aber das half nichts.
    »Dürfte ich wohl kurz eintreten? Oder komme ich
    ungelegen?«
    Statt zu antworten drehte die Frau ihr den Rücken zu und ging durch die Diele. Da sie die Tür offenließ, nahm Hanne das als Einladung und folgte ihr zögernd. Der längliche Flur war dunkel, die Wohnzimmertür in der Diele bildete ein grelles, fast weißes Rechteck, das Hanne blendete. Fast wäre sie über einen Flickenteppich gestolpert.
    Das Wohnzimmer war aufgeräumt. Es war spärlich möbliert, aber die Fenster waren sauber, und es roch frischgeputzt. Am auffälligsten war das viele Licht. Über einem kleinen Eßtisch mit einem Blumenaufsatz aus Stoff und Papier hing eine Art Handwerkerlampe, nur mit einem etwas hübscheren Schirm.
    Darin steckte eine Birne von mindestens 200 Watt. An der Längswand hingen nicht weniger als sechs Wandlampen, jede mit zwei Lichtquellen. Außerdem gab es in dem Zimmer vier Stehlampen und vor den Fenstern drei lange, unverkleidete Leuchtröhren. Und alle Lampen waren eingeschaltet.
    Das Sofa war blau kariert und alt. Es wurde am einen Ende offenbar mehr benutzt als am anderen, die Polster waren dort tief eingedrückt, und sie sah, daß der Rahmen schon nachgab.
    Auf einem Couchtisch aus lackiertem Kiefernholz lag eine Illustrierte. Ansonsten war

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