Das Ekel von Säffle
Veränderungen hatten sich in gewisser Weise auch bis in die Reviere ausgewirkt, Beförderungen wurden nicht mehr wahllos ausgesprochen, und bestimmte Erscheinungen, darunter der Kasernenhofton bei der Schutzpolizei, waren von den Wogen des Demokratisierungsprozesses hinweggespült worden. Nyman war einer der vielen Altgedienten, die mitansehen mußten, wie die Brücken vor ihnen abgebrochen wurden.
Die erste Hälfte der sechziger Jahre war eine hoffnungsvolle Periode in der Geschichte der Stockholmer Polizei gewesen, dachte Martin Beck. Es hatte ausgesehen, als würde alles sich zum besseren entwickeln, die Vernunft war auf dem besten Weg, Starrheit und Kameraderie abzulösen, die Qualität des Nachwuchses war erfreulich gut und sogar das Verhältnis zur Bevölkerung schien sich zu verbessern. Aber der positive Trend hörte mit der Verstaatlichung 1965 auf. Seitdem waren alle guten Hoffnungen begraben und die guten Vorsätze vergessen worden.
Für Nyman war diese Wendung allerdings zu spät gekommen. Es war nun beinahe sieben Jahre her, daß er zum letztenmal Chef einer Revierwache gewesen war.
In späteren Jahren hatte er sich mit den Plänen für den zivilen Bevölkerungsschutz und ähnlichen Dingen beschäftigt.
Aber seinen guten Ruf als Experte für Ordnungsfragen hatte niemand ihm nehmen können, und als Spezialist wurde er in Zusammenhang mit den zahlreichen großen Demonstrationen gegen Ende der sechziger Jahre häufig zu Rate gezogen.
Martin Beck kratzte sich im Genick und las den Schluß seiner dürftigen Notizen durch: Verheiratet seit 1945, zwei Kinder, die Tochter Annelotte geboren 1949 und der Sohn Stefan geboren 1956.
Frührentner wegen Krankheit 1970.
Er nahm seinen Kugelschreiber und fügte hinzu:
Gestorben in Stockholm am 3. April 1971. Las sich alles noch einmal durch. Sah auf die Uhr. Zehn Minuten vor sieben.
Er überlegte, wie weit Rönn inzwischen gekommen sein mochte. Die Stadt erwachte, gähnte und reckte sich.
Das gleiche tat Gunvald Larsson. Wachte auf, gähnte und rekelte sich. Dann griff er mit seiner großen, stark behaarten Hand nach dem elektrischen Wecker, schlug die Bettdecke zur Seite und schwang seine langen, kräftigen Beine aus dem Bett.
Er zog sich den Morgenrock und die Pantoffeln an und ging zum Fenster, um nach dem Wetter zu sehen. Beständig, leicht bedeckter Himmel und, drei Grad über Null. Der Vorort, in dem er wohnte, hieß Bollmora und bestand aus einigen Hochhäusern, die man mitten in ein Waldstück hineingebaut hatte.
Dann blickte er in den Spiegel und sah einen ungewöhnlich langen blonden Mann vor sich, immer noch einszweiundneunzig groß, aber seit einiger Zeit 105 Kilo schwer. Jedes Jahr legte er einige Kilo zu, und jetzt waren es nicht nur Muskeln, die sich unter dem weißen Seidenstoff wölbten. Aber er war gut in Form und fühlte sich kräftiger als je zuvor, und das wollte bei diesem Mann etwas heißen. Er starrte einige Sekunden in seine eigenen porzellanblauen Augen und legte die Stirn in Falten. Strich mit der Hand das: blonde Haar zurück, zog die Lippen auseinander und betrachtete seine großen, kräftigen Zähne.
Nachdem er die Morgenzeitung aus dem Briefkasten geholt hatte, trat er in die Küche, um sein Frühstück herzurichten. Er kochte Tee, Twinings, Irish Breakfast, röstete Brot und kochte sich zwei Eier, stellte Butter, Cheddarkäse und drei verschiedene Sorten schottischer Marmelade auf den Tisch.
Während er aß, blätterte er die Zeitung durch.
Schweden hatte im Kampf um die Weltmeisterschaft im Eishockey schlecht abgeschnitten, und jetzt unterstrichen auch noch Trainer und Spieler ihren Mangel an Sportsgeist, indem sie sich in aller Öffentlichkeit gegenseitig beschuldigten. Auch bei der Fernsehanstalt gab es Reibereien, die zentrale Monopolführung unternahm offenbar alles, um die Nachrichten und aktuellen Programme in den verschiedenen Kanälen in festem Griff zu behalten.
Zensur, dachte Gunvald Larsson. Mit Samthandschuhen. Typisch für das kapitalistische Vormundschaftsdenken.
Die wichtigste Nachricht war aber, daß die Leser die Möglichkeit bekamen, Namen für drei junge Bären im Volkspark Skansen vorzuschlagen. An wenig beachteter Stelle wurde resigniert festgestellt, daß Untersuchungen in der Armee ergeben hatten, daß die körperliche Verfassung der Reservisten, die älter als vierzig Jahre waren, besser war, als bei den achtzehnjährigen Rekruten. Und auf der Kulturseite, bei der man nicht mit unbefugten Lesern zu
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