Das Ekel von Säffle
zu rücken, nämlich auf die Tatsache hinzuweisen, daß englische Polizisten nicht bewaffnet sind und deswegen Gewalt nicht in solchem Maße provozieren, wie die Polizei in bestimmten anderen Ländern. Sogar in Dänemark hatten die Verantwortlichen dies begriffen; seitdem wurde die dänische Polizei nur im Ausnahmefall mit Schußwaffen ausgerüstet.
Aber soweit war man in Stockholm noch nicht.
Als Martin Beck an Nymans Leiche gestanden hatte, war ihm dieser Untersuchungsbericht plötzlich eingefallen.
Und jetzt dachte er wieder daran. Er verstand, daß die Schlüsse, die in dem Schriftstück gezogen wurden, richtig waren, aber gleichzeitig und völlig im Widerspruch dazu ahnte er, daß es einen Zusammenhang gab zwischen dieser Erkenntnis und dem Mord, an dessen Aufklärung er seit einigen Stunden arbeitete.
Polizeibeamter zu sein ist ungefährlich, dagegen ist die Polizei selbst gefährlich, und er hatte sich gerade einen abgeschlachteten Polizisten angesehen.
Ganz plötzlich zuckte es in seinen Mundwinkeln, und für einen Moment sah es so aus, als ob er sich auf die Treppe, die von Regeringsgatan hinunter zu Kungsgatan führt, setzen und über das Groteske in lautes Gelächter ausbrechen würde.
Mit der gleichen sonderbaren Klarheit kam ihm unvermittelt der Gedanke, daß es ratsam sei, nach Hause zu fahren und seine Pistole zu holen.
Es war über ein Jahr her, daß er sie überhaupt angesehen hatte. Ein freies Taxi kam aus Richtung Stureplan.
Martin Beck streckte die Hand aus und winkte es heran.
Der Wagen war ein gelber Volvo mit einem schwarzen Streifen an jeder Seite. Solche gab es erst seit kurzer Zeit, und damit wurde die alte Regel durchbrochen, daß Mietwagen in Stockholm grundsätzlich schwarz sein müssen. Er setzte sich neben den Fahrer und nannte das Ziel:
»Köpmangatan 8.« Im selben Moment erkannte er den Chauffeur. Es war einer jener Polizisten, die ihr Gehalt aufbessern, indem sie in ihrer Freizeit als Taxifahrer tätig sind. Daß er diesen Mann wiedererkannte war reiner Zufall. Einige Tage vorher hatte er vor dem Hauptbahnhof gestanden und beobachtet, wie einige ganz besonders ungeschickte Polizeibeamte einen zu Anfang durchaus friedlichen jugendlichen Betrunkenen bis zur Weißglut gereizt und dann selber die Beherrschung verloren hatten. Der Mann am Lenkrad war einer davon gewesen.
Er war etwa 25 Jahre alt und ungewöhnlich gesprächig. Wahrscheinlich war er von Natur aus redselig, und weil er bei seiner eigentlichen Arbeit nur hin und wieder eine grimmige Bemerkung oder eine Zurechtweisung von sich geben durfte, unterhielt er sich im Taxi um so lieber. Ein kombiniertes Straßenkehr und -waschauto hielt sie kurze Zeit auf. Der Freizeitchauffeur sah sich kopfschüttelnd ein Plakat für Richard Attenboroughs 10 Rillington Pla.ce an und sagte in undefinierbarem Dialekt:
»Zehn Rollington Plaze. So was kuckt sich das Volk nu an. Nix wie Mord und Totschlag und bekloppte Leute. Find ich ekelhaft.« Martin Beck nickte. Der Mann, der ihn offenbar nicht wiedererkannte, faßte das als Aufmunterung auf und redete ungezwungen weiter.
»Natürlich sind's immer die Ausländer, die alles so was machen.« Martin Beck schwieg.
»Aber eins will ich ma sagen, man soll sich hüten un alle Gastarbeiter über ein Kamm scheren. Der, der diesen Schlitten sonst fährt, is zum Beispiel von Portugal.«
»Aha.«
»Ja und einen anständigeren Kumpel kann man sich nich vorstellen. Der arbeitet und arbeitet und arbeitet und steht nich aufm Bahnhof rum. Un fahren kann der. Und wissense warum?« Martin Beck schüttelte mit dem Kopf.
»Der war in Afrika Panzerfahrer, vier Jahre lang. Da unten führt Portugal nämlich `n Befreiungskrieg, Angola heißt das, wo der wa. Die müssen da schwer für ihre Freiheit kämpfen, die Portugiesen, da hört man hier gar nichts von. Der Mann, den ich da kenne, der hat in den vier Jahren Hunderte von Bolschewiken umgelegt. Und bei dem sieht man wirklich mal, wie nützlich das ist mit Armee und Disziplin und so. Der macht genau, was man ihm sagen tut und verdient mehr als alle, die ich so kenne. Und wenn der mal `n besoffenen Finnen in sein Wagen kriegt, da sieht der aber zu, dassa `n ordentliches Trinkgeld kriegt. Die sollen ruhig bluten, leben ja doch nur vonna Fürsorge.« Als er soweit gekommen war, hielt das Auto vor dem Haus, in dem Martin Beck wohnte. Er bat den Taxifahrer, auf ihn zu warten, schloß die Tür auf und fuhr nach oben in seine Wohnung. Die Pistole war eine 7,6 5
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