Das Elbmonster (German Edition)
schneller einem potenziellen Abgrund entgegen.
Anscheinend sehen wir auch nicht das drohende Unheil oder wollen es einfach nicht wahrhaben, welches sich gegenwärtig zum Beispiel im pakistanisch-indischen Raum zusammenbraut? Und ein paar Verrückte finden sich leider immer und überall, die sich nicht im Geringsten scheuen, eine lodernde Fackel ans randvoll gefüllte Pulverfass zu legen. Doch egal, auf welchen Teil unseres außerordentlich belebten Planeten wir auch blicken, fast allerorten begegnet man den Grausamkeiten des Homo sapiens. Allein der ergänzend flüchtige Verweis auf Nordirland, wo ein schier unfassbarer Fanatismus die Katholiken und Protestanten seit vielen Generationen gewaltsam aufeinanderprallen lässt, sollte als weiterer Beleg hierfür genügen. Auf brennend aktuellere Konfliktpotenziale wie etwa in Afghanistan oder ähnlich gelagerten Ländern wollen wir jetzt gar nicht erst näher eingehen.
Derlei Geschehnisse erscheinen uns bei oberflächlicher Betrachtung schnell als höchst törichte, vereinzelt geradezu schizophrene Auswüchse menschlichen Verhaltens, weit entfernt von den moralischen Anforderungen an die gegenwärtige Zivilisation. Doch mit solch vernichtenden Urteilen bin ich mittlerweile überaus vorsichtig geworden, denn ich reihe mich nicht vorbehaltlos zu denjenigen, die mit hundertprozentiger Gewissheit von sich behaupten können, sie würden unter denselben Bedingungen wesentlich anders handeln als die soeben und weiter oben mit scharfen Worten Gebrandmarkten.
Das ist selbstverständlich kein Freibrief für Mord und Totschlag, auch nicht deren Rechtfertigung, im Gegenteil, es schmerzt mich zu wissen, dass nach derart blutrünstig ausgetragenen Konflikten immer wieder neue Opfer zu beklagen sind, darunter meistens vollkommen unschuldige, was mich besonders erschüttert. Aber in einer konkreten Situation, gar, wenn sie uns dringend zur Entscheidung zwingt, zerbricht oftmals der gut gemeinte Vorsatz, und mag er einer noch so erhabenen Gesinnung entspringen.
Unser Denken und Tun hängt letztlich in hohem Maße von den jeweiligen Umständen ab, denen wir gerade ausgesetzt sind. Daher erweisen sich übereilte Einschätzungen von Personen und Ereignissen nicht selten mit Fehlern behaftet.
Zudem befällt uns verschiedentlich ohnehin eine gewisse intellektuelle Ohnmacht, sobald wir deutlich spüren, dass unserem Wirkungsfeld im Kampf gegen schlimme Vorfälle häufig Schranken gesetzt sind. Das hängt natürlich ganz entschieden davon ab, auf welcher Stufenleiter der sozialen Rangordnung wir uns gegebenenfalls befinden, denn was dem Herrn erlaubt ist, darf der Knecht noch lange nicht. Demzufolge verinnerlicht sich auch bei mir zunehmend die tiefere Bedeutung des Tagesgebetes von Christoph Friedrich Oetinger (1702 bis 1782), das sinngemäß lautet:
Barmherziger Heiland, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann! Gib mir den Mut zu ändern, wozu ich in der Lage bin! Und gib mir die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden!
Hochachtung gegenüber jenem strenggläubigen Manne, der ein solch nachhaltiges Ersuchen zu seinem täglichen Credo erwählte!
Es ist zwar nicht das Paternoster (Vaterunser), dennoch sehr aufschlussreich, selbst für eingefleischte Atheisten, welche die objektiv reale Existenz Gottes hartnäckig bestreiten und mithin auch seine Anrufung konsequent ablehnen.
Oetingers ungewöhnlicher Wunsch hat nichts an Aktualität verloren. Seine durchaus verständliche Bitte verweist uns vorbildhaft darauf, dass wir fortwährend von irgendwelchen Gegebenheiten abhängig sind.
Die absolute Freiheit des Individuums gibt es praktisch nicht. Sie bleibt ein Gedankenspiel, wenngleich nicht ganz belanglos. Darum ist unsere Autonomie stets begrenzt. Niemals wird sie von persönlichen und gesellschaftlichen Barrieren vollkommen entlastet sein. Schließlich vermag keiner uneingeschränkt genau das zu tun, was er nach eigenem Ermessen für jeweils notwendig und richtig hält. Von wegen: „Lebe deine Träume!“, eine pure Illusion! Vielmehr bedarf es unaufhörlich einer bedingten Ein- und zuweilen sogar Unterordnung, je bewusster, desto besser. Wer das nicht will oder kann, muss die Schärfe der Gesetzte spüren, erst recht, wenn sein Verhalten anderen nachweisbar schadet.
Die Selbstbestimmung des Einzelnen ist also stets relativ und zugleich geschichtlich konkret. Sie im Rahmen vorhandener Möglichkeiten unentwegt zu erweitern, ist und
Weitere Kostenlose Bücher