Das Elbmonster (German Edition)
bestimmt nichts Außergewöhnliches, wenn ein Mann mit beinahe fünfundsechzig Jahren (2001!) plötzlich die Feder aus der Hand legen müsste. Unzählige segnen wesentlich früher das Zeitliche, unsere nicht berechenbare Existenz auf irdischem Boden. Zudem gibt es sicherlich noch Schlimmeres, als tot zu sein, darunter besonders heimtückische, nicht heilbare Krankheiten oder anderweitig böses Ungemach.
Nicht wenige Herren der Schöpfung werden so etwa um die fünfzig Lenze herum nochmals auffällig munter. Sie schauen gezielt nach anderen Frauen oder beruflichen Veränderungen (manche trachten freilich nach beidem, und sei es nur in ihrer Einbildung). Indessen klopft mitunter schon bald darauf ein seltsames Wesen an ihrer Daseinspforte, zunächst kaum vernehmbar leise, doch im Laufe der Zeit immer öfter und auch dröhnender. Es ist der unsterbliche Sensenonkel, der uns zunehmend kitzelt. Vor ihm ist niemand sicher. Er holt garantiert jeden. Den einen früher, den anderen später, diesen behutsam, den nächsten rabiat. Doch keinen lässt er aus. Und das ist fraglos gerecht!
Mithin dürfte es vollkommen normal sein, wenn Menschen mit fortschreitendem Alter sowohl häufiger als auch tiefer über Tod und Verderben nachdenken. Das liegt einfach in der Natur der Sache. Es soll hier also kein Lamento angestimmt werden, zumal wir ja tatsächlich ab und an Leuten begegnen, vor allem älteren, die buchstäblich von einem Arzt zum anderen rennen, obwohl ihnen gesundheitlich nichts Ernsthaftes fehlt, allenfalls ein bisschen im Kopfe. Gewiss, auch über solche Dauerpatienten können sich einige Mediziner freuen und die Pharmazeuten erst recht, denn es sind loyale Geldbringer, wenn auch meist auf indirektem Wege.
Fürwahr, wann mein Diesseits abgeschlossen wird, ist für mich bisher niemals ein wirklich ernsthaftes Problem gewesen, denn hinsichtlich der Begrenztheit unserer physischen Existenz ist man ja seit Langem bestens aufgeklärt. Jeden bricht einmal das Auge, und das ist durchaus angemessen. Meiner Glaubwürdigkeit wegen füge ich aber vorsichtshalber auf der Stelle hinzu, dass ich selbstverständlich und auch äußerst gerne noch viele Jahre mitmischen würde, und das bei möglichst wohltuender Gesundheit. Dennoch ändere ich nicht meine obige Aussage, weil sie ihrem grundlegenden Inhalt nach aufrichtig ist und keineswegs nur einer komischen Laune entspringt.
Andererseits sei hier vorbehaltlos eingeräumt, dass so mancherlei schwermütige Gedanken über den Lauf der Welt offenbar zum unausweichlichen Los des Alterns gehören. Glücklich macht mich das jedenfalls nicht, denn je länger und gründlicher ich vereinzelt über verschiedene Fragen grüble, desto mehr belasten mich zuweilen die Antworten darauf, obwohl ich mit persönlicher Zufriedenheit verspüre, dass sie bei mir nicht in Selbstmitleid münden.
Dem steht wohl auch eines meiner prinzipiellen Verhaltensmottos entgegen, das wie folgt lautet: „Gestalte dein Vita activa (tätiges Leben), als wäre es zeitlich unbegrenzt! Doch ordne wichtige Dinge, als müsstest du bereits morgen sterben!“ Ein guter Leitspruch, wie ich finde, auch im Interesse unserer Mitmenschen und namentlich der nächsten Angehörigen.
Indessen ängstigt mich zunehmend das unwägbare Wie meines Abflugs. Allein der bekannte Sachverhalt, dass man gegebenenfalls über mehrere Monate oder auch Jahre hinweg elendiglich dahinsiechen kann, einem vielleicht die materielle Hülle in Form der Leiblichkeit durch irgendwelche medizinische Geräte für einen unbestimmten Zeitraum notdürftig erhalten wird, nur weil das heute technisch zum Teil möglich ist, bereitet mir unversehens Gänsehaut, sobald ich daran erinnert werde. Und mit entsprechendem Beobachtungs- oder Erfahrungswissen bin ich mittlerweile reichlich versorgt.
Dabei sind die kaum zu beschreibenden Seelen- und Gewissensqualen der liebsten Verwandten und engsten Freunde noch gar nicht berücksichtigt. Sie trifft es meistens besonders hart, nachdem ihnen im jeweils konkreten Fall deutlich klar wird, dass man einem solch grausamen Geschehen vollkommen hilflos ausgeliefert ist und daher beinahe ohnmächtig dreinblicken muss, wie ein zutiefst vertrauter Gefährte langwierig und oftmals auch schmerzhaft dahinscheidet, bevor er wieder zu Staub wird. Ihre Ratlosigkeit gleicht einem schier unendlichen Martyrium. Und ich versichere erneut, mir dessen absolut bewusst zu sein, was ich hier zu Papier bringe.
So würde ich mir
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