Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Elixier der Unsterblichkeit

Das Elixier der Unsterblichkeit

Titel: Das Elixier der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Gleichmann
Vom Netzwerk:
Bento, sondern für beide Brüder Spinoza. Begehrte Professuren wurden ihnen angeboten. Bento lehnte einen Ruf nach Heidelberg ab. Benjamin konnte nicht begreifen, warum.
    Bento erklärte seinem Bruder, er fürchte, die Freiheit, seine Ansichten auszudrücken, zu verlieren. Er nannte sich selbst einen vagabundierenden Denker. Das war eine Rolle, die ihm zusagte. Er war zufrieden und wollte so leben wie bisher. Er würde in keines Menschen Dienst treten und selbst die Form und den Rhythmus seines Lebens wählen. Niemand konnte ihn zwingen, sein Dasein und seine Gedanken an die Herren der Macht und der Ordnung zu verkaufen.
    »Seit Jahrhunderten ist eine Bruderschaft von ›scholares vagantes‹ durch Europa gestreift«, sagte Bento. »Keiner ist dem anderen gleich gewesen, aber alle haben die Unruhe des forschenden und irrenden Menschen in sich getragen. Der umherstreifende Denker ist ein launischer Komet, er kommt, wann er will, zieht unberührt seines Weges und wählt seine eigene Bahn. Das ist genau das Leben, das mir passt.«
    Benjamin ließ nicht locker. »Gute Absichten können Menschen zu wenig durchdachten Beschlüssen und Handlungen treiben«, erwiderte er. »Ich glaube, es würde dir guttun, einen festen Punkt im Dasein zu haben. Man muss nicht stärker nach der Norm anderer als nach der eigenen leben, nur weil man öffentliche Aufgaben annimmt.«
    »Lieber Bruder«, entgegnete Bento rasch. »Platon nennt es ein Wunder, wenn jemand sich den Angelegenheiten der Welt widmet und mit sauberen Hosen davonkommt. Du kennst mich und weißt, dass ich mich jedes Mal, wenn die Versuchung zum Ehrgeiz auftaucht, dagegen sträube und beharrlich in die andere Richtung strebe.«
    »Im Unterschied zu dir«, sagte Benjamin, »habe ich das Leben eines Mannes, der sich durch die Tage treiben lässt, immer nur für kurze Zeit führen können. Mein Lebensinhalt sind die Familie und der Genuss im Sammeln und Ordnen von Wissen, die Suche eines Weges durch das Labyrinth unterschiedlicher Meinungen in diesem dem Anschein nach verwirrenden und schwerelosen Universum. Letzten Endes teile ich nicht deine Angst, die Gedankenfreiheit zu verlieren. Meine Überzeugung von der dem Menschen innewohnenden Freiheit hindert mich nicht daran, als Lehrer zu arbeiten.«
    Benjamin fühlte, dass ein Kapitel seines Lebens endete und ein neues seinen Anfang nahm. Mafalda ermunterte ihn lebhaft, die Früchte seiner Begabung zu genießen und einen akademischen Ruf anzunehmen.
    So zog er mit seiner Familie nach Freiburg, das eine der führenden Universitäten Europas besaß. Sie war so gut wie keine andere organisiert und beschäftigte die namhaftesten Lehrer des deutschen Sprachraums.
    Die Wochen lösten einander ab, der Herbst verrann, es wurde Dezember, und der Schnee lag hoch. Jetzt erkannte Benjamin, dass es ihm bisher nicht gelungen war, sich von seinem Bruder frei zu machen. Er erzählte Mafalda, dass er sich beinahe schämte, weil er den großen physischen Abstand zu seinem Bruder als Befreiung empfand, und dass es ihm große Freude machte, zu unterrichten – er kam sich fast leichtsinnig vor. Sie entgegnete, er habe sich verändert. Als er fragte, was sie damit meine, sah sie ihn mit einem innigen Blick an und ging ihres Weges. Nach ihrem nächtlichen Spiel, das phantastisch war, besser denn je zuvor, erklärte sie ihm, sein Gesicht sei froher und entspannter. Er lächelte ein wenig nachdenklich, wusste aber, dass sie recht hatte. Dann hielten sie sich wie gewöhnlich umschlungen und schliefen ein.
PRAKTISCHE PHILOSOPHIE
    Annie Campsie-Smith, Benjamins britische Biographin, weiß zu berichten, dass er sich in Freiburg damit vergnügte, ein praktisches Handbuch über moralische Fragestellungen zu verfassen. Es wurde als bahnbrechend angesehen. Die damaligen Philosophen schrieben ohne Kontakt zu ihren Lesern. Benjamin arbeitete dagegen mit konkreten Beispielen. Dieser Ansatz war fruchtbar.
    Der Verleger Adalbert Althardt in Berlin, der Auszüge aus dieser Arbeit gelesen hatte, war begeistert. Er versprach ein Seitenhonorar von fünfzehn Gulden. Ein Erscheinungsdatum wurde vereinbart. Die Erwartungen wuchsen. Doch das Manuskript wurde nie abgeschlossen. Heute gilt das Handbuch als verschollen.
    Mit halb geschlossenen Augen stand Benjamin am Katheder und sprach darüber, wie der Inhalt der Philosophie deduktiv, auf geometrische Weise, aus abstrakten Definitionen abgeleitet werden könne. Er sprach leise, doch seine Stimme war überall im Hörsaal zu

Weitere Kostenlose Bücher