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Das Ende aller Tage

Das Ende aller Tage

Titel: Das Ende aller Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian W. Aldiss
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viele Erfindungen wurden erkämpft und vergessen, wie viele Träume gelebt und weggeworfen. Dynastien kommen und gehen in diesem langen Tag; was ist, ähnelt sehr dem, was war – und alles wird von der langsam durchsickernden Zeit fortgeschwemmt.
     
    *
     
    Das Schiff Kyberia, eine schwimmende Heilanstalt, lag wie verlassen am langen Kai. In einer der vielen Kabinen saß Davi Dael und wartete. Die Butterblume an seinem Gewand begann zu welken. Er lächelte auf die Blume herab, denn sie war jetzt die einzige Verbindung zwischen ihm und der Stadt Bergharra, die er früh am Morgen verlassen hatte; er hatte sie gepflückt, bevor er den Gyro nach Neu-Union genommen hatte. Wohin Davi auch blickte, weder hier im Wartezimmer noch draußen gab es etwas so Farbiges wie seine Butterblume.
    Der Warteraum hatte nur stumpfe Grün- und Grautöne, und draußen war alles Grau und Schwarz. Die Abenddämmerung lag über den Schuppen und Rangiergeleisen; auf der anderen Seite des Schiffes zog der breite Strom bleigrau und ölig seewärts. Es war still, von jener trügerischen Stille, in der sich außer der Angst nichts regt.
    In Davis Gehirn wurden die gewöhnlichen Sorgen eines geschäftigen Mannes von anderen Gedanken überlagert, die wuchsen und wuchsen, als ob sie von der Stille genährt würden. Er wartete in gespannter Unruhe, während diese Gedanken in ihm umgingen. Sein langsames Gehirn wälzte sie um und um, als könnte es dadurch einer Lösung näherkommen.
    Leise, schnelle Schritte gingen an der Tür vorbei. Trotz seiner fünfzig Jahre war Davi sofort auf den Füßen. Ein Gefühl banger Ungewißheit quälte ihn. Wie hatten sie über Ishrail entschieden?
    War er auf der Erde geboren oder nicht? Oder – im Grunde war es dieselbe Frage – hatte er sich als geistig gesund oder als unzurechnungsfähig erwiesen?
    Eine Minute lang stand Davi vor Erregung zitternd da, dann, als er merkte, daß die Schritte nichts mit seiner Existenz zu tun hatten, setzte er sich müde und nahm wieder seine gelangweilte Betrachtung des Hafengeländes auf. Für ihn, der tief aus dem Landesinnern kam, war dieser Anblick ungewohnt. Seine Interessen hatten sich bislang auf das Vieh beschränkt, das er züchtete. Zu jeder anderen Zeit hätte ihn das Schauspiel eines Hafens mit ein- und auslaufenden Schiffen gleichgültig gelassen, aber jetzt bemühte er sich, es mit Ishrails Augen zu sehen. Und das änderte die Situation vollständig.
    Die zahllosen Schienenstränge des Verschiebebahnhofs gehörten in Ishrails Augen zu einem primitiven Transportsystem auf einem entlegenen Planeten. Und um diesen Planeten war nicht der Himmel, wie Davi bisher, ohne sonderlich darüber nachzudenken, geglaubt hatte, sondern das gewaltige, komplizierte Verkehrsnetz des Raumes. Ishrail hatte es nicht Raum genannt, sondern ein »Labyrinth von Spannungen«. Aber natürlich konnte es sein, daß Ishrail verrückt war. In Bergharra hatte noch nie jemand wie er gesprochen.
    Und durch das Labyrinth der Spannungsfelder, so hatte Ishrail gesagt, zogen die Interpenetratoren. Davi stellte sie sich als Raumschiffe vor, aber Ishrail nannte sie Interpenetratoren. Sie bestanden offenbar nicht aus Metall, sondern aus geistig angetriebenen Kraftschilden, die ihre Energie aus den Spannungsfeldern bezogen und sich mit ihnen veränderten; so bewegten sich die Bewohner des galaktischen Systems sicher zwischen den zivilisierten Planeten. Das war es jedenfalls, was Ishrail behauptete.
    Und die Planeten bekriegten einander. Aber selbst der Krieg war nicht so, wie Davi den Begriff verstand. Er war zu einer Art Schachspiel stilisiert. Seine Ziele waren ausgreifender und zugleich nebelhafter, als materialistische Erdbewohner es sich vorstellen konnten. So ungefähr sagte Ishrail, aber es konnte natürlich sein, daß Ishrail verrückt war.
    Selbst wenn er verrückt war, änderte das nichts an der liebevollen Bewunderung, die Davi für ihn empfand.
    »Sie sollen ihn nicht für geisteskrank erklären!« sagte Davi voll Verzweiflung zu den grauen Wänden des Warteraums.
    Und doch, erklärte man Ishrail für vernünftig, mußte man auch seine verrückte Version von der Realität anerkennen.
    Nach den langen Stunden des Wartens sah sich Davi völlig unvorbereitet, als die Tür geöffnet wurde. Er stand am Fenster, hatte die Fäuste vor seiner Brust geballt und ließ sie nun verwirrt sinken, als der weißhaarige Mann hereinkam. Es war Bruder Joh Schansfor, ein Psychiater, der Davi an Bord der Kyberia

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