Das Ende Der Ausreden
passende Antwort! Genau, du musst sie ausladen!«, würde die vielleicht antworten. Inhaltlich ist dieser Ratschlag komplett konträr, aber er wird mit der gleichen Unbedingtheit vorgetragen. Auch hier wird behauptet, dass es ein einzig richtiges Handeln gibt.
Wenn jemand in diesem Brustton der Überzeugung spricht, dass etwas nur so und nicht anders geht, dann macht er in erster Linie eine Aussage über sich selbst, darüber, was er für richtig hält. Er glaubt allerdings, er spricht vom Allgemeingültigen. Wenn man ihn dann mit Alternativen konfrontiert, reagiert er verwundert bis aggressiv.
Eigentlich wissen wir, dass es in allen interessanten Fragestellungen immer mehrere Möglichkeiten sowie einander widersprechende und zugleich richtige Lösungen gibt. Was hindert uns, in aller Ruhe Pro und Contra für die verschiedenen Optionen zu sammeln, abzuwägen und dann zu entscheiden? Woher kommen Unverständnis und Empörung, wenn wir der einen Freundin entgegnen, dass wir gerne einmal etwas Unpopuläres tun möchten, und der anderen, dass wir uns nach reiflicher Überlegung zur Diplomatie durchgerungen haben?
In der Welt der Selbstverständlichkeit hat der Verstand kein Vorrecht, Toleranz wenig Raum. Diese Domäne wird anders regiert. Sehr emotional und sehr archaisch. Hier behaupten die gelernten Gefühle ihren Anspruch.
Wenn wir aus einer Selbstverständlichkeit heraus argumentieren, dann sind wir von der Richtigkeit überzeugt. Wir lügen also nicht oder reden uns wissentlich heraus. In der Selbstverständlichkeit befangen, irren wir uns vielmehr.
Trotzdem handelt es sich um falsche Behauptungen, weil existierende Alternativen geleugnet werden. Und das hat sehr problematische Konsequenzen: für die Frage der Verantwortung, für die Qualität von Gesprächen und Begegnungen, den Verlauf von Auseinandersetzungen. Und letztlich dafür, ob wir in der Lage sind, uns als Mensch, als Persönlichkeit weiter zu entwickeln. Wenn es uns nicht gelingt, uns von den eigenen Selbstverständlichkeiten zu emanzipieren, werden wir zwar älter, aber nicht menschlich klüger.
Worüber reden wir: Wahrheit oder Wahrnehmung?
Dass wir unsere Wirklichkeit hoch subjektiv konstruieren, ist ja fast schon ein alter Hut. Wir können nicht objektiv sein, niemand kann das. Was uns nicht davon abhält, es immer einmal wichtigtuerisch ins Gespräch zu werfen (»Objektiv betrachtet!«). Zu einem Geschehen gibt es immer mehrere Geschichten: Jeder, der dabei war, hat etwas anderes erlebt, manchmal etwas geringfügig anderes und manchmal etwas völlig anderes. Vier Menschen gehen ins Kino – und sehen vier verschiedene Filme. Da kann man sich manchmal nur die Augen reiben. Aber so ist es. Wir sitzen nicht als Videogeräte im Kino, sondern als Zuschauer mit ihrer je eigenen Geschichte, Erfahrung, Vorliebe, Stimmung. Wir nehmen wahr, aber wir kennen die Wahrheit nicht. Ich kenne sie nicht, und Sie kennen sie auch nicht. Wir kennen nur unsere Wahrnehmungen, über die können wir uns austauschen. »Stimmt!«, werden Sie jetzt vielleicht denken, wenn Sie gerade keinen aktuellen Konflikt vor Augen haben.
Diese Erkenntnis setzt nämlich völlig aus, sobald der Adrenalinspiegel steigt. Plötzlich sage ich zu dem anderen: »Das stimmt gar nicht! Das siehst du falsch. Das ist ganz anders!« Jetzt bin ich aber doch entschieden näher an der Wahrheit als der andere!
Machen uns also unsere Hormone blöd? Oder warum können wir das Wissen über die Subjektivität von Wirklichkeit nicht mehr abrufen, sobald wir selbst betroffen sind?
Was wollen wir: Überzeugen oder Dialog?
Alltägliche Auseinandersetzungen sind voller Wahrheitsbehauptungen und unhaltbar starrer Positionen. Das hat mit Dialog rein gar nichts zu tun. Wirklich in Dialog zu gehen mit einem Freund, meinem Mann oder einer Kollegin setzt voraus, dass ich das mit einer bestimmten Haltung tue. Nämlich, dass wir hinterher beide klüger sein werden als vorher, dadurch, dass wir unsere Sichtweisen ausgetauscht, verglichen und gemeinsam erweitert haben. Ein Dialog setzt voraus, dass wir uns um Verstehen statt Bewerten bemühen und vor allem: dass das Ergebnis vorher nicht feststeht.
Wer tut denn das, bitte schön? Pure Theorie im Alltag. Ich rede nicht mit meinem Mann, um hinterher klüger zu sein. Ich will, dass er endlich einsieht, dass ich diesen oder jenen Punkt einfach richtiger sehe als er. Ich spreche nicht mit der Kollegin, um sie besser zu verstehen, ich möchte, dass sie sich meiner
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