Das Ende der Geschichten (German Edition)
Tolstoi seinen Tolstoianismus begründete, hat Tschechow im Garten gearbeitet und versucht, seine Tuberkulose zu besiegen. In dem letzten Brief, den er vor seinem Tod geschrieben hat, beschwert er sich noch über die Geschmacklosigkeit, mit der sich die deutschen Frauen kleiden. Es ist allerdings interessant, dass Tolstoi es geschafft hat, diese umfangreichen Romane zu schreiben – vor dem Zusammenbruch allerdings –, und Tschechow nicht, obwohl er das eigentlich wollte. Allerdings war Tolstoi auch reich und Tschechow arm. Ich glaube, ich kann mich mehr mit Tschechow identifizieren.»
Während wir uns so unterhielten, hatten unsere Hände sich irgendwie wieder gefunden.
«Angenommen, dir begegnet eine Fee oder eine Elfe …», sagte Rowan. «Was würdest du dann tun?»
«Wolltest du mir nicht sowieso von Feen erzählen? Von den Cottingley-Feen.»
«Ja. Aber deine Antwort interessiert mich erst mal mehr. Also, was würdest du tun?»
«Was ich tun würde? Keine Ahnung. Wahrscheinlich würde ich mir einreden, sie gar nicht gesehen zu haben.»
«Aber doch nur, weil du dem Universum weniger Sinn geben willst und nicht mehr, oder? Du würdest beispielsweise nicht losziehen und Beweise dafür suchen, dass es noch weitere Feen gibt. Du würdest lieber einfach wegschauen.»
«Ja, ich glaube schon. Ich würde gar nicht so genau wissen wollen, was ich da gesehen habe.»
«Ich auch nicht. Und ich dachte schon, ich bin seltsam.»
«Bist du auch. Ich glaube, die meisten Leute wollen ganz genau über die Dinge Bescheid wissen.»
«Hm. Wahrscheinlich hast du recht.»
«Aber hast du denn Feen gesehen?»
Er lachte. «Nein. Und die Mädchen aus Cottingley übrigens auch nicht, obwohl sie das behauptet haben. Zumindest spricht einiges dagegen. Meine Großeltern haben damals gleich um die Ecke gewohnt, als es passiert ist, und sie haben fest an diese Feen geglaubt, sodass es für mich später ein ziemlicher Schock gewesen ist, zu erfahren, dass sie gar nicht existiert haben – die Feen, meine ich natürlich, nicht meine Großeltern. Grob gesagt, hat sich damals Folgendes zugetragen: Im Jahr 1917 haben zwei junge Mädchen, Frances Griffiths und Elsie Wright, etliche Feen fotografiert. Frances bekam immer wieder Ärger daheim, weil sie unten am Cottingley Beck, einer Art Bach, spielte, und schließlich hat sie ihrer Mutter erzählt, sie gehe dorthin, um die Feen zu sehen. Natürlich hat ihr kein Mensch geglaubt, dass sie tatsächlich Feen gesehen habe. Deshalb hat sie sich den Fotoapparat ihres Vaters geborgt und ist losgezogen, um die Feen hervorzulocken, damit Elsie sie fotografieren konnte. Als ihr Vater die Fotos entwickelte, hielt er sie gleich für Fälschungen. Doch Frances’ Mutter verkehrte in theosophischen Kreisen, und so landete die Nachricht von den aufsehenerregenden Bildern irgendwann bei Arthur Conan Doyle, der dann ein Buch darüber schrieb. Ähnlich wie Tolstoi hat Conan Doyle seine Spiritualität erst in fortgeschrittenem Alter entdeckt. Sein Buch The Coming of the Fairies ist eine reichlich bizarre Angelegenheit. Er glaubte felsenfest an die Geschichte von den Feen und auch an die Fotos und sah darin den Beweis für die Existenz einer hochentwickelten Geisterwelt. Es dauerte Jahre, bis Frances und Elsie freiwillig zugaben, die Fotos gefälscht zu haben. Genaugenommen war aber auch das gar nicht so eindeutig. In den Sechzigern haben sie immer wieder Andeutungen gemacht, in Talkshows oder Zeitschrifteninterviews. Irgendwann haben sie gestanden, ausgeschnittene Bilder mit Hutnadeln an den Bäumen befestigt zu haben. Und schließlich haben sie zugegeben, alle Fotos gefälscht zu haben, ‹bis auf eines›. Sie behaupteten, sie hätten dort tatsächlich Feen gesehen, hätten sie aber nicht dazu bewegen können, lange genug für ein Foto stillzuhalten.»
«Das ist ja unglaublich», sagte ich. «Wie sahen diese Feen denn aus?»
«Wie ausgeschnittene Illustrationen aus Märchenbüchern.»
«Ehrlich?»
«Ja. Genau das denkt man, wenn man sie sich heute anschaut. Aber Conan Doyle hat etwas anderes darin gesehen. Vielleicht wollte er auch nur etwas anderes sehen. Und mit dieser Sichtweise war er keineswegs allein – die Fotos wurden von allen möglichen selbsternannten Experten geprüft. Eine Frau erklärte, dies sei die Entdeckung einer neuen Welt, obwohl sie gleichzeitig anmerkte, wie künstlich und flach die Feen doch wirkten und dass einer der Gnome Hände wie Flossen habe. Was natürlich daran lag,
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