Das Ende der Geschichten (German Edition)
ich auch nie von dir verlangen. Aber ich kann Lise nicht verlassen. Das weißt nun wiederum du.»
«Warum denn nicht?»
Er seufzte. «Das ist alles nicht so einfach. Es ist ja nicht so, als hätten wir kleine Kinder – oder überhaupt Kinder. Lise hat auch keine tödliche Krankheit. Aber trotzdem braucht sie mich. Ich tue beispielsweise sehr viel für ihre Mutter. Und Lise selbst hat schreckliche Panikattacken, und ich bin der Einzige, der sie dann wieder beruhigen kann. Außerdem sind da noch andere Dinge. Wir haben ein Haus. Wir haben für dieses Jahr einen gemeinsamen Urlaub gebucht. Wir haben ein gemeinsames Konto. Unser beider Leben sind komplett miteinander verbunden.»
«Ich will ja nicht grausam sein», sagte ich, «aber für mich klingt das nach einer ganz normalen Beziehung. Es ist nie leicht zu gehen. Ich habe im Grunde bis zur letzten Sekunde nicht gewusst, dass ich Christopher tatsächlich verlassen werde. Und ich sage ja auch nicht, dass du einfach losziehen und zu deinen eigenen egoistischen Abenteuern aufbrechen sollst, nachdem du den Menschen weggeworfen hast, der dich davon abhält. Das würde sicher nicht dazu beitragen, dass du dich besser fühlst. Aber kannst du nicht einfach mit Lise reden, ihr sagen, wie du empfindest?»
«Das wäre reiner Sprengstoff. Sie würde glauben, dass ich sie deinetwegen verlasse, und falls wir – du und ich – es dann doch miteinander probieren sollten, wird sie sich bestätigt fühlen. Sie würde versuchen, mein Leben zu ruinieren. Ich kenne sie doch. Wenn ich mich von ihr trenne, wäre es völlig ausgeschlossen für mich, eine Beziehung mit dir anzufangen.»
«Meine Güte!»
Er sah wieder auf die Uhr. «Reden wir bald wieder?»
«Vielleicht. Wahrscheinlich.»
Er stand auf, streifte seine Jacke über und ging zur Tür.
«Ich will dich auch», gestand er. «Sehr sogar. Ich wünschte, ich könnte irgendetwas tun.»
«Ich auch», sagte ich.
Dann ging er.
Ich blieb noch lange Zeit auf dem Sofa sitzen, sah dem Feuer beim Brennen zu und lauschte dem Meer, das draußen zärtlich am Sandstrand saugte, ihn umfing, ihn leckte und küsste. Ich stellte mir vor, wie es all die kleinen Körnchen beknabberte und kostete, sie mit sich zog, einfach mit sich zog, unter sanften Beruhigungslauten und Bitten. Es klang so zart wie ein Flüstern, wie ein Versprechen. Doch je weiter die Nacht fortschritt, desto heftiger und härter warf sich das Meer auf den Sand, und der Sand hauchte sein «Ja», und so ertranken sie ineinander, die ganze Nacht hindurch.
***
«Ich weiß jetzt die Antwort», sagte Josh.
Es war halb sechs am Abend des Vortrags von Kelsey Newman, und Totnes war ganz in Dämmerlicht getaucht. Das Rumour war entweder halb leer oder halb voll, je nachdem, wie man es betrachten wollte. Auf fast allen Holztischen verkündeten kleine Schilder, dass die Tische ab neunzehn, zwanzig oder einundzwanzig Uhr reserviert waren, und die meisten Gäste gönnten sich nur einen schnellen Aperitif nach der Arbeit. An einem großen Tisch am Fenster studierte eine Familie die Speisekarte. Am anderen Fenster saßen zwei Frauen mit Igelfrisur und Feministinnenohrringen. Zerlesene Zeitungen lagen auf dem Tresen. Im Hintergrund lief ein altes Stück von Barrington Levy, das ich noch aus der Zeit in Brighton kannte, als ich manchmal mit Christopher Gras bei einem alten Rasta-DJ kaufte, der jedes Mal versuchte, uns auch ein paar Platten anzudrehen.
«Hallo», sagte ich und setzte mich zu Josh an den Tisch. «Was war denn die Frage?»
«Die Frage lautet: ‹Warum haben in Kelsey Newmans Universum nur bestimmte Menschen magische Fähigkeiten?› Aber bestellen wir doch erst – Wein und so was. Jetzt, wo ich keine so starken Medikamente mehr nehme, kann ich auch wieder Alkohol trinken. Dann werde ich dich mit meiner verbesserten Theorie vom Universum sprachlos machen. Und anschließend mache ich Kelsey Newman mit der noch weiter verbesserten Version sprachlos, nachdem du alle Schwachstellen beseitigt hast.»
«Wann fängt der Vortrag denn an? Ich weiß es schon gar nicht mehr.»
«Um sieben im Birdwood House.»
«Okay.»
«Ich glaube, wir haben Zeit genug für Abendessen und Nachtisch. Und falls du Angst haben solltest, dass Christopher uns überrascht: Das wird nicht passieren. Er wohnt jetzt bei Becca.»
«Ach du Schande. Und Milly?»
«Ist auch weg. Christopher im Haus zu haben hat eine Versöhnung zwischen ihr und Dad nicht unbedingt befördert, das kannst du dir ja
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