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Das Ende der Geschichten (German Edition)

Das Ende der Geschichten (German Edition)

Titel: Das Ende der Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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Bier.
    Libbys Brauen stießen fast an ihren Haaransatz. «Im Ernst? Ihr habt eine offene Beziehung? Und das macht dir gar nichts aus?»
    «Unter uns gesagt, am Anfang, als ich gerade davon erfahren hatte, wollte ich ihn am liebsten umbringen. Ich bin wirklich kein gewalttätiger Mensch, aber ich habe mir die verschiedensten Methoden, wie ich das machen könnte, ganz genau ausgemalt. Machete, Kettensäge, Zahnstocher. Der Zahnstocher war das Allerbeste. Klingt abwegig, aber wenn man jemandem damit ins Auge sticht oder in die Kehle … In meinen Arbeitspausen saß ich im Wagen und habe geheult, weil ich dachte, jetzt ist alles vorbei; wir lassen uns scheiden, und ich muss Speed-Dating machen oder sonst irgendwas, das ich nicht kapiere.» Er grinste. «Ich habe ewig hin und her überlegt. Und dann ist mir auf einmal klar geworden, dass es wahrscheinlich das Beste ist, nichts zu sagen. Ich dachte mir, wenn sie mich verlassen will, macht sie’s so oder so. Aber offensichtlich will sie das nicht. Und irgendwie liebe ich sie auch immer noch. Wenn wir zusammen sind, ist sie immer wahnsinnig nett zu mir, und vielleicht bin ich ja in mancher Hinsicht auch schon nicht mehr ganz so taufrisch, also … Das hört sich jetzt schrecklich an, aber irgendwie dachte ich mir, dann lasse ich doch einfach ihn die ganze Arbeit machen und die Romantik beisteuern. Darin bin ich eh nicht besonders gut, das weiß ich. Und ich habe endlich Zeit, mein Buch zu schreiben und zelten zu gehen, was sie gar nicht mag, und in Ruhe im Garten zu arbeiten. Bisher klappt das bestens. Mir ist klar geworden, dass man solche Fragen einfach von allen Seiten betrachten muss, bevor man eine Entscheidung trifft. An Weihnachten fahren wir immer zu meinen Eltern, Heidi kocht mit meiner Mutter, und alle kommen blendend miteinander aus. Und an Silvester behaupte ich jedes Mal, ich hätte schreckliche Kopfschmerzen, damit sie mit ihm ausgehen kann. Er ist auch verheiratet. Das ist praktisch. Und modern.» Tim lachte. «Im Grunde ist meine Ehe wie ein Möbelstück: viel zu klobig, um es noch zu entsorgen. Und hinten schon ziemlich zusammengeflickt.»
    «Weiß sie denn, dass du es weißt?»
    «Um Himmels willen, nein. Nein, sie hat die ganze Zeit schreckliche Schuldgefühle. Und deshalb …»
    «Deshalb was?»
    «Ich glaube, ich bin ein bisschen betrunken. Entschuldigt, ich sollte besser nicht weiterreden, sonst denkt ihr noch …»
    «Nein, red ruhig weiter. Sprich’s einfach aus. Sie hat solche Schuldgefühle, dass sie dir immer einen bläst, wenn du Lust darauf hast? Dir ein schönes Bad einlässt? Dir die schwieligen Füße massiert?» Libby schaute auf die Tischplatte. «Oje, ich glaube, ich bin auch betrunken. Mist. Tut mir leid, Bob.»
    «Tim.» Er wurde rot. «Und du hast recht. Ja, ich bin ein richtiges Schwein.»
    ***

Was war schlimmer: vor oder nach ihm nach Hause zu kommen? Kehrte ich als Erste zurück, konnte ich Christophers Laune abwarten; kam ich erst nach ihm, geriet ich mitten hinein. Christopher war einer jener Menschen – es gab noch mehr von der Sorte, unter anderem meinen Bruder Toby und meinen Vater –, die ein ganzes Haus mit ihren Gefühlen füllen können. Wenn er guter Laune war, konnte man gar nicht anders, als auch guter Laune zu sein. Hatte er aber schlechte, dann war es unerträglich. Manchmal gab es Hinweise: Sägen, schwere Schritte auf der Treppe, tiefe Seufzer oder ein viel zu laut gestellter Fernseher. Aber manchmal gab es nur so ein Gefühlsgrollen, wenn etwas nicht in Ordnung war, wie ein Dieselmotor, der ununterbrochen direkt vor dem Fenster knattert, während man drinnen schlafen, nachdenken oder einfach nur da sein will. Mitunter wurde dieses Rumpeln und Knattern auch so stark, dass es eher an einen über dem Haus kreisenden Militärhubschrauber erinnerte.
    Einmal hatte ich Christopher gegenüber so etwas angedeutet, und er gab zurück: «Woher willst du denn wissen, dass es nicht an dir liegt?»
    Da hatte er recht. Ich gehörte schließlich auch mit zur Gleichung. Vielleicht kam das Grollen ja von mir und nicht von ihm. Immerhin hatte auch ich schon ganze Häuser mit meinen Stimmungen gefüllt. Und so fragte ich mich oft, ob all das, was zwischen Christopher und mir falsch lief, nicht eigentlich meine Schuld war.
    Am nächsten Morgen stand die wöchentliche Müllabfuhr an, und auf dem Heimweg sah ich vor fast allen Häusern schwarze Mülltüten stehen, an denen die Möwen herumpickten und sich durch den Regen ihr

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