Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Ende der Geschichten (German Edition)

Das Ende der Geschichten (German Edition)

Titel: Das Ende der Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
Vom Netzwerk:
Keck-keck-keck! zuriefen. In Dartmouth sind die Möwen alle fett. Sie haben gelbe Schnäbel, schwimmhautbewehrte rote Füße, weiße Köpfe und Hälse, schwarz-weiße Flügelspitzen und böse Augen. Wenn sie nicht gerade keckern, kreischen sie vom endlos grauen Himmel herab: Sieh, sieh! , wie der Chor aus einer griechischen Tragödie. Ich musste B. an der kurzen Leine halten: Sie war fasziniert von diesen hässlichen, unförmigen Geschöpfen, die sich ihrerseits kein bisschen für sie interessierten. Als ich die Stufen zum Brown’s Hill erreichte, sah ich Reg, der ebenfalls aus dem Pub zurück war und nun in voller Regenmontur draußen stand, um seinen Müll in der Holzkiste zu verstauen, die er sich gebaut hatte, um die Möwen abzuhalten. Auf den Stufen lag etlicher Abfall aus anderen, bereits aufgehackten Mülltüten verstreut. Was den Müll betrifft, hat man in Dartmouth drei Möglichkeiten: Man stellt seine Abfalltüten fünf Minuten vor Eintreffen der Müllabfuhr nach draußen, man verstaut ihn in einer Holzkiste mit verschließbarem Deckel, oder aber man wirft schlicht und einfach nichts weg, was man nicht vor den Häusern der Nachbarn verstreut sehen möchte. Doch vor kurzem waren in eins der Häuschen am Brown’s Hill neue Mieter eingezogen, und so lagen jetzt benutzte Tampons, Plastikverpackungen von Fertiggerichten, Pizzakartons, leere Hundefutterdosen und ein Paar alte Turnschuhe mit durchlöcherten Sohlen vor mir auf den Stufen.
    Als ich die Hundefutterdosen sah, die eigentlich auf den Wertstoffhof gehört hätten, wenn die Gefahr nicht so groß gewesen wäre, sich beim Ausspülen zu schneiden, und die Turnschuhe, wurde mir klar, dass zumindest Teile dieses Unrats uns gehörten und Christopher, der sich kein bisschen um eventuelle möweninduzierte Peinlichkeiten scherte, den Müll wieder einmal zu früh nach draußen gestellt haben musste. Ich konnte nur hoffen, dass er die Turnschuhe nicht bemerkt hatte. Es waren seine, und ich fand sie einfach widerlich. Jetzt hatte ich sie endlich weggeworfen, weil ich den Gestank nicht mehr ertrug, der aus dem Schlafzimmerschrank kam. Er selbst hätte sie natürlich nie aussortiert. Christopher warf grundsätzlich nichts weg. Mir kam der Gedanke, dass er wohl dasselbe von mir behaupten würde, und ich fragte mich, ob wir einander vielleicht doch brauchten, und sei es nur, um wechselseitig unser Leben zu kommentieren.
    «Ekelhaft», sagte Reg und deutete mit dem Kopf auf den regennassen Abfall.
    «Stimmt», pflichtete ich ihm bei. «Diese verdammten Möwen.»
    «Ich werde sie alle ausrotten», erklärte er. «Die sind wirklich die Landplage dieser Stadt. Fliegende Ratten, das sind sie.»
    Dieses Gespräch hatten wir schon zahllose Male geführt.
    «Sie wollen doch auch nur leben, genau wie wir», sagte ich. «Und im Winter hat man es als Möwe bestimmt nicht leicht. Natürlich nerven sie mich auch, aber irgendwie kann ich nachvollziehen, warum sie das tun. Wahrscheinlich denken sie, wir stellen den Müll extra nach draußen, um ihnen eine Freude zu machen.»
    «Pah! Ihr jungen Leute seid viel zu verständnisvoll. Ihr werdet schon noch sehen. Die Viecher müssen weg. Die sind Ungeziefer. Schädlinge. Wenn sie erstmal ausgerottet sind, werdet ihr mir noch alle dankbar sein. Natürlich wäre das eigentlich Aufgabe der Stadtverwaltung, aber die muss ihr ganzes Geld ja in diesen bescheuerten Irrgarten im Park stecken. Mrs. Morgan von oben sagt, sie gibt ein Riesenfest, wenn ich die Möwen beseitigt habe. Wussten Sie, dass eins von den Biestern mit ihrer Katze abgehauen ist? Hat sich die Mieze einfach so geschnappt und ist mit ihr aufs Meer rausgeflogen.»
    Natürlich wusste ich das. Ich war mir nur nicht sicher, ob ich es glaubte.
    «Na, dann viel Glück», sagte ich und stieg über einen Turnschuh hinweg. Ich hatte bereits beschlossen, Christopher nicht auf den Abfall anzusprechen. Während ich die übrigen nassen Stufen bis zu unserem Haus hinaufging, nahm ich mir vor, als Erstes meine Mails zu checken, wenn ich nach Hause kam. Vielleicht erfuhr ich dann ja, dass mir irgendetwas Großartiges passiert war. Sehr wahrscheinlich war das nicht – mir passierte nie etwas Großartiges. Und selbst wenn, würde ich doch nie davon erfahren, oder nur dann, wenn es irgendwie mit Orb Books zusammenhing. An mein privates E-Mail-Konto kam ich nämlich nicht heran, weil ich den Provider so lange nicht bezahlt hatte, dass er mir schon seit Monaten den Zugriff verweigerte, obwohl die

Weitere Kostenlose Bücher