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Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte

Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte

Titel: Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Heller
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baumelte: ein weiterer Schuss. Ich spürte den Luftzug an meinen Händen, über meinem Kopf.
    In Western und in Kriegsfilmen machen fliegende Kugeln immer so ein bestimmtes Geräusch, und raten Sie mal. Sie machen das wirklich. Sie zischen, pfffffff, so als würde man eine giftige Limodose öffnen. Die Limo des Todes. So wie ein Vakuum, das sich mit der Geschwindigkeit einer fallenden Ente schließt, dicht gefolgt von einem kleinen Summen, einem musikalischen Ausrufezeichen.
    Klar doch, erschießt meine Decke, wenn ihr unbedingt wollt. Ich habe Nadel und Faden.
    Schweigen, verwirrtes. Wenigstens fühlte es sich so an.
    Manchmal spürt man beim Angeln sofort den Charakter des Fisches, der an der Schnur zerrt. Da ist so eine Verbindung. Ich meine, man merkt sofort: Ist er kämpferisch, ängstlich, erfahren, jung und unwissend, verschlagen, in Panik, resignierend, selbstbewusst, schelmisch? All das liegt im Zucken und Zerren der Angelschnur. Oft kam mir das Schweigen zwischen zwei Menschen ganz ähnlich vor.
    Ich schüttelte die Decke, und im selben Moment krachte der Schuss, und dann wurde es fast sofort wieder still. Eine verwirrte Stille. Ich grinste. Ich wusste, Opa nahm die Decke ins Visier, studierte das sich wiederholende Muster und dachte bei sich: Was zum Teufel? Ich wusste, aus dieser Entfernung konnte er mit seinem Zielfernrohr das Muster erkennen. Ich tastete den Erdboden nach zwei schweren Steinen ab, beschwerte die Ecken der Decke damit und ließ sie hängen.
    Sollte er sich noch ein bisschen wundern, vielleicht das Ganze ausdiskutieren. Dann nahm ich den Zettel, steckte ihn an die Spitze eines eineinhalb Meter langen, abgebrochenen Astes und schob ihn über die Kante: Ich. PENG. Zisch. Völlig daneben. Ha. Er hatte nicht auf den Zettel gezielt, sondern auf meinen Kopf, auf die Stelle, an der mein Kopf gewesen wäre, hätte ich mich nur ein Stück weiter vorgeschoben.
    Stille. Ich hatte das Papier senkrecht aufgespießt, damit er es lesen konnte. Er konnte. Sie waren verdammt nah. Ich meine, wenn ich richtig gemein gewesen wäre, hätte ich einfach einen Findling über die Kante geschoben. Oder runtergespuckt.
    Ich holte den Stock wieder ein. Falls ich schmunzelte, schmunzelte ich zum ersten Mal seit neun Jahren. Schmunzeln – allein das Wort. Kein Wort für das Ende der Welt. Ich zupfte mit den Zähnen den Papiermantel von der Wachsmalkreide und schrieb auf das zweite Blatt, wieder hochkant: bin.
    Warum ich nicht einfach rief? Nun ja, in eine mündliche Unterhaltung schleichen sich so schnell Missverständnisse ein. Das war jedenfalls meine Erfahrung. Als Melissa und ich uns zum ersten Mal in einem Coffeeshop trafen, war ich zu schüchtern zum Reden, deswegen umgarnte ich sie mit einem Zettel. Es hat funktioniert. Ein falscher Ton, und das war’s. Nein, so war es besser. Unten plätscherte der Bach, dazu der Wind, und außerdem hätte ich um nichts in der Welt mein Gesicht über die Kante gehalten.
    Ich spießte das Blatt auf den Stock und hängte es aus. Diesmal kein Schuss. Der Mistkerl hatte verstanden. Ich bin. Wie existenziell! Verdammt, ich hätte an dieser Stelle einfach aufhören und sie in ihrem eigenen Saft schmoren lassen sollen. Aber ich nahm die Wachsmalkreide, schrieb weiter. Holte den Ast ein, schob das Blatt raus. Ließ es im Wind flattern.
    Der philosophische Sprung von einem Wort zum nächsten war riesig. Hamlet war nichts dagegen. Wie meine Dialektik sich entfaltete. Schlag auf Schlag.
    Die Seite hing im Wind. Kein. Kein. Flattern und rascheln.
    Ich spitzte die Wachsmalkreide an einem Felsen, drehte eine Seite ins Querformat und schrieb so groß wie möglich: Fasan.
    Und das hängte ich aus. Beschwerte den Ast mit einem weiteren Stein, streckte mich am Boden aus und ließ mir die Sonne ins Gesicht scheinen, die Arme unter dem armen, zerkratzten Kopf verschränkt, ließ mich von der Wärme bedecken und das Sonnenlicht meine Schnittwunden heilen.
    Die würden sich nicht vom Fleck bewegen, und ich genauso wenig.
    *
    Wären wir in einem Western, hätte ich meinen Hut auf einen Ast gesetzt. Ich trug einen Hut. Eine durchgeschwitzte Baseballkappe mit sich auflösendem Rand und der Aufschrift Cherry Hills Golf Club . Ich hatte sie eines Nachts einem Besucher abgenommen und mochte sie ihrer versöhnlichen Botschaft wegen: Das Ende der Welt bedeutete möglicherweise auch das unwiderrufliche, im ganzen Universum gültige Ende von Golf.
    Nicht, dass ich was gegen Golf gehabt hätte.
    Außerdem

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