Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte

für einen Diabetiker oder Bulimiker oder beides. Danach küsste ich sie nicht, ich versuchte es nicht einmal, denn ihre Wangen waren gerötet, und sie war eindeutig von der Rolle, und ich werde nie erfahren, ob es daran lag, dass sie mich für einen Spinner hielt und so schnell wie möglich von mir wegkommen wollte, oder ob sie – und dieser Gedanke kam mir erst Monate später – vielleicht genauso nervös war wie ich und mich irgendwie mochte, es mir aber nicht zeigen konnte und sich abgewiesen fühlte, als ich mich so hastig aus dem Staub machte. Zum ersten Mal im Leben passierte es mir, dass ein anderer Mensch auf Bestätigung durch mich wartete, dass er Angst vor mir hatte. Damals, vor dem Ende der Welt, war das eine unglaubliche Erkenntnis. Heute nahm ich das als eher selbstverständlich hin: Jeder hatte Angst vor mir.
    Was eine schlechte Voraussetzung für ein Date ist. Der arme Hig. Der arme Frankenstein.
    Aber nicht sie. Sie lächelte. Sie lächelte.
    Ich hatte die beiden bezirzt, oder? Mit meinem Charme hatte ich sie aus ihrem Tötungsmodus rausgelockt. Ich hatte sie um den Finger gewickelt, oder?
    Ich blieb abrupt stehen. Blinzelte in die Schlucht runter, wich vorsichtig in den Schatten einer Pinie zurück. Vielleicht doch nicht?
    Die lustige Idee mit der Decke. Der alte Kauz hatte keine Geduld. Und seine Zeit war kostbar. Während ich in der Sonne gelegen und mich entspannt hatte, hatte er da unten nachgedacht, war gezwungen gewesen, im nassen Schilfrohr zu hocken mit kochendem Blut und voller Angst – Angst um sein Leben, um sein Mädchen – und mit dem Gedanken: Ich werde das aufgeblasene Arschloch umbringen. Bei der erstbesten Gelegenheit. Für wie schlau hält er sich, wie schlau wird er sich fühlen, wenn ich seine Eier über dem Lagerfeuer brate und er dabei zuschauen darf.
    So in etwa.
    Ich ging trotzdem weiter. Auch wenn sich die Haare in meinem Nacken aufstellten.
    Als ich den Fluss erreicht hatte, folgte ich ihm auf einem ausgetretenen Pfad am Ufer. Das Gras hier wuchs hoch, winzige weiße Astern wie Gänseblümchen, Castilleja. Wilde Erdbeeren, Bartfaden. Riesige Gelbkiefern und ein Geruch nach kalten, nassen Steinen und Vanille. Weiße Motten, die einander über dem Kies umkreisten. Paarung. Mein erstes Date: Das war Geschichte. Mein Herz raste immer noch, aber nicht deswegen. Ich sah die Motten tanzen, drei und dann zwei, ins Sonnenlicht und wieder hinaus, und ich dachte: Hig, Paarung ist im Moment wahrscheinlich nicht drin. Wahrscheinlich nie wieder.
    Wenn man den kurzen Felsen oben an der Schlucht erreicht, den mit dem Wasserfall, wenn man an der Baumleiter runterklettert und Opa den Rücken zukehrt, wird er einen mit einem zufriedenen Grunzen erschießen. Also. Du denkst, das wär ein Spiel, du Penner? Bist kein Fasan, ganz richtig: Du bist ein toter Mann. Schreib dir das auf deine kleine Decke. Peng. Du wolltest uns ja nicht in Ruhe lassen. Peng. Hör auf zu zucken, ja? Peng.
    Bangley: Ich hab es dir gesagt, Hig, nie niemals – verdammt, du weißt genau, was. Rest in pieces!
    Hmpf. Wie immer die Zwangslage ausgesehen hatte, in der ich vorher war, sie hatte sich kein bisschen verändert. Das erkannte ich, als ich eilig am Bach entlanglief. Und noch etwas: Er, sie beide waren möglicherweise die Baumleiter innerhalb von zwei Minuten hochgeklettert und lagen jetzt möglicherweise hinter den Weiden, hinter irgendwelchen Bäumen auf der Lauer, um mich in einen Hinterhalt zu locken. Ich erstarrte.
    Wollte nicht sterben. Noch nicht.
    Möglicherweise stand ich jetzt in diesem Moment in seinem Fadenkreuz. Wieder Gänsehaut, diesmal nicht von der Kälte.
    Mein Blick folgte dem Bachlauf. Ein Eschenahorn am Ufer, die Blätter die Farbe von Limetten. Darunter ein paar Pappeln. Wenn der Wind blies, verdrehten sich ihre Blätter und wurden hell wie eine Handfläche, die ins Sonnenlicht gekehrt wird. Stopp. Möglicherweise duckten sie sich hinter die dicken Baumstämme da hinten.
    Stopp, Hig. Stopp. Denk noch einmal über den Wahnwitz der zwischenmenschlichen Verbindungen nach. Hör auf einen Baum.
    Beim Angeln hast du immer danach gesucht, oder? Nach Verbindung. Denk mal, was das den Fisch gekostet hat. Der Fisch wollte deine Verbindung nicht, und wenn eine Forelle dich mit einem Biss hätte töten können, hätte sie es getan. Opa ist dieser Fisch. Er kann dich verschlucken.
    Hm.
    Ich wich zurück, drückte mich flach an einen Baum. Der Fluss verlief in etwa zehn Metern Entfernung, und an dieser