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Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte

Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte

Titel: Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Heller
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hockte mich eine Ackerfurche weiter und fing an, mit bloßen Fingern zu graben und zu zupfen. Sie warf mir einen Blick zu, lächelte.
    Wir haben auch einen, sagte ich. Einen Garten.
    Sie nickte.
    Schweigen. Wir arbeiteten. Schweigend. Wie angenehm.
    *
    Am nächsten Tag nach dem Frühstück zupften wir weiter Unkraut. Die Sonne stieg, schob den Schlagschatten an die Felswand.
    Hast du Kinder?, fragte ich.
    Sie setzte sich auf ihre Unterschenkel und strich sich mit dem Handgelenk das Haar aus der Stirn.
    Wir wollten warten. Bis er eine Festanstellung hatte. Er war Musiker.
    Ich nickte. Erzähl.
    Er hatte seine Dissertation beendet und gerade die mündlichen Prüfungen geschafft, als in Newark die ersten Fälle bekannt wurden. Wir wohnten in einem Haus ohne Aufzug in der Cranberry Street in Brooklyn Heights, das liegt auf der anderen Seite vom Fluss, direkt gegenüber vom Hafen und dem Finanzdistrikt. Von unserem Fenster konnten wir die ganze Welt sehen. Dieser Ausblick, den man aus den Filmen kennt – Skyline, Brücke. Wir waren ständig gestresst. Ich zwinge mich, es nicht zu vergessen, aber im Nachhinein kommt es mir so vor, als hätten wir das glücklichste Leben geführt. Ich holte mir jeden Morgen einen Bagel mit Eiern und Schinken und hatte ein schlechtes Gewissen deswegen – da war so ein kleines Deli in der Montague Street, kaum breiter als ein U-Bahn-Waggon, man musste drei Stufen runtergehen, und es gab immer eine Warteschlange, alle auf dem Weg zur Arbeit, ungeduldig, mit Kaffee in diesen blau-weißen Pappbechern vom Griechen, wo man Milch und Zucker zuerst reintut. So war das. Er rief mich an, wenn ich auf die U-Bahn wartete. Ich hatte nur einen Balken Empfang: Was soll ich mitbringen? Indisch? Nudeln? Ha. Ein Leben zusammengesetzt aus kleinen Mahlzeiten. Wenn ich nur dran denke. Zwei Menschen, die darauf warten, dass das richtige Leben anfängt, damit waren wahrscheinlich Kinder gemeint, so wie man auf einen Zug wartet. In froher Erwartung. Damals waren wir gar nicht so froh, aber im Nachhinein kommt es mir so vor. Er hat am Hunter College unterrichtet, als Assistent, hatte kaum was zu tun, hat seine Studenten geliebt und den Fachbereich gehasst. Hat auf seinen Abschluss gewartet. Gewartet. Die Zeit in einer Hülse. Aufgebrochen, und der Inhalt verstreut.
    *
    So erzählte sie. Ich hörte hauptsächlich zu. Opa arbeitete. Ging wortlos an mir vorbei. Ich bot ihm keine Hilfe an. Das schien sich zu verbieten. Ich wanderte zum Biest rauf und holte mir meinen Schlafsack. Die Nächte waren klar und kalt, voller Sterne, ein Meer aus Sternen, eingerahmt von den Felskanten der Schlucht. Die Ufer eines dunklen Flusses, dunkel, aber von Lichtern durchsetzt. Zwischen den Blättern der großen Pappeln. Ich schlief in der Hängematte, und die Blätter bildeten ein raschelndes Dach. Sie schoben die Sterne hin und her und verliehen ihnen eine Stimme. Nach der ersten Nacht in der Hängematte tat mein Rücken weh, danach nicht mehr. Am dritten Tag stieg ich mit meinem Gewehr die Baumleiter hoch und kam mit einem großen Hirschbock zurück. Ich schleifte ihn am Wasser lang und ließ ihn an einem Seil neben dem Wasserfall runter. An dem Abend aßen wir Herz und Leber.
    Am nächsten Tag tat ich dasselbe, und er und ich machten uns nicht die Mühe, das Fleisch aufzuhängen, wir schlachteten die Tiere gleich auf dem großen Tisch und schnitten das Fleisch in Streifen, um es zu dörren. Wir arbeiteten schnell, behände und wortlos. Sie hatten Salz, ein Achtzigliterfass, das sie mitgebracht hatten. Wir legten das Fleisch eimerweise in Salzlake ein. Er tat keinen einzigen Fehlschnitt, eine Tatsache, die ich absichtlich nicht kommentierte.
    *
    Seltsam, wie man sein Leben mit Warten verbringt, ohne es zu merken.
    Das sagte sie, als sie über einer Schüssel mit Erbsenhülsen saß. Wir saßen am Tisch im Schatten des großen Baumes.
    Man wartet darauf, dass das echte Leben anfängt. Und dann ist nichts echter als das Ende. Wenn man merkt, dass es zu spät ist. Heute weiß ich, ich habe ihn mehr geliebt als alles andere auf der Erde und darüber hinaus. Mehr als Gott, den aus unserer episkopalen Liturgie.
    Sie drückte die jungen Erbsen aus der Schale, das Haar hing ihr ins Gesicht, ihre Handrücken waren von violettblauen Flecken übersät. Sie bewegte die Finger vorsichtig, so als hätte sie Schmerzen. Eine besonders widerspenstige Hülse klemmte sie zwischen die Knöchel von Daumen und Zeigefinger.
    Er rief nach mir, als er starb,

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