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Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte

Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte

Titel: Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Heller
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wie immer. Ich roch Jasper, ich roch den Duft der Fünfziger, und dann zog ich das Handbuch aus der Plastiktasche hinter meinem Sitz. Es handelte sich um das Pilotenhandbuch, das Original von 1956 . Das kleine Ding war keinen halben Zentimeter dick, achtundachtzig Seiten mit einer Abbildung des Flugzeugs auf dem Umschlag. Ganz hinten fand ich die Leistungsdaten. Ganz wunderbare Tabellen – wörtlich zu nehmen und von unschätzbarem Wert. Sie waren entstanden, weil irgendein Testpilot sich in genau dieses Flugzeug gesetzt hatte, um wieder und wieder zu starten. In dieser Höhe und in jener. Bei dieser Außentemperatur und bei jener. Techniker in weißen Kitteln mit dicken Hornbrillen hatten die Daten gesammelt und die schlichten, behäbigen Kurven angelegt. Dann gingen sie nach Hause zu ihren Frauen mit Turmfrisur und tranken Seagram’s Seven auf Eis aus schweren Kristallgläsern. Und die Testpiloten, wo kamen die her? Sie waren Veteranen aus dem Zweiten Weltkrieg, die Japan mit Feuer bombardiert und Flughäfen in Österreich beschossen und sich dann aufs Land zurückgezogen hatten wie die Figuren, über die James Dickey geschrieben hatte. Sie flüchteten sich in die kleinen Cockpits im Cessna-Testcenter in Wichita, wo sie das sanfte Rütteln spürten, das allen Propellerflugzeugen eigen ist. Und der ehemalige Oberstleutnant machte es wie ein erfahrener Reiter, der sich jederzeit auf jedes Pferd schwingen kann und sofort das komplexe und gleichzeitig so einfache Gefühl hat, zu Hause zu sein, befreit von den Beschränkungen des banalen Alltags.
    In meinem schmalen Handbuch fanden sich seitenlange Tabellen und Grafiken. Start- und Landedistanzen. Ich blätterte – ganz vorsichtig, denn ich behandelte das Pilotenhandbuch wie ein altertümliches, unbezahlbares Artefakt – bis zu der Seite mit dem Titel: Startdaten. Fuhr mit dem Finger über die Zeile Höhe des Flugfeldes bis zu zweitausenddreihundert Metern, und die Spalte hinunter bis zur Lufttemperatur in Fahrenheit . Die erforderliche Startbahnlänge zur Überwindung eines achtzehn Meter hohen Hindernisses ohne Gegenwind betrug zweihundertneunzig Meter. Verstehen Sie jetzt, was ich meine? Die Luft ist weniger dicht, sobald sie sich aufwärmt. Dann tat ich etwas, was ich sonst nie tue, was ich seit meiner Zeit als Flugschüler nicht mehr getan hatte: Ich holte die offizielle Tabelle zur Berechnung von Gewicht und Schwerpunkt raus, die zusammengefaltet in einer Tasche in der Innenverkleidung neben meinem Knie steckte. Jedes Flugzeug hat so eine, genau abgestimmt auf das spezifische Modell. Ich erledige die Flugplanung. Ich nahm ein leeres Blatt Kopierpapier und fing an zu rechnen. Ich setzte Pops mit zweiundachtzig Kilo auf den Vordersitz und Cima mit fünfundfünfzig dahinter, dazu eine Tasche mit Proviant zu zehn. Fünf Gallonen Wasser machten neunzehn Kilo. Keine Lämmer. Die vollen Benzinkanister waren nicht mehr da, weil ich den Treibstoff in die Tanks gefüllt hatte. Ich berechnete den Treibstoff, die Waffen, zwei Gewehre, die Schrotflinte, die Handfeuerwaffen, vier Granaten. Mehr nicht. Zwei Liter Öl.
    Ich kratzte mit einer Bleistiftmine auf dem Papier rum und schob die Zahlen hin und her. Ich ließ die Berechnungen auf meinem Platz liegen und die Tür offen – es war windstill – und schritt die Wiese der Länge nach ab.
    *
    Hundertachtzig hunderteinundachtzig hundertzweiundachtzig. Ich zählte meine Schritte. Es erinnerte mich daran, wie ich auf Bangley gewartet und die Sekunden gezählt hatte vor einer Schießerei. Ich lief neben den Fahrspuren her. Pflügte die Gräser mit meinen Schienbeinen. Entdeckte einen Truthahngeier, der nördlich von uns am Himmel kreiste. Als ich bei zweihundert angekommen war und sah, wie weit es noch bis zu den Bäumen war, wusste ich Bescheid. Die Piste war zu kurz. Allerhöchstens hundertfünfundneunzig Meter. Es war ausgeschlossen.
    Zu guter Letzt. Ich wusste es schon, rechnete aber trotzdem noch mal nach. Ich zog eine lange Holzlatte aus derselben Innenraumtasche. Sie war der Länge nach mit Edding markiert, von 5 über 10 und 15 bis 30 . Gallonen. Ich kletterte über die Verstrebung auf die Tragfläche, drehte den Tankdeckel auf und schob die Messlatte rein. Ich zog sie vorsichtig raus, hielt sie im Schatten gerade, betrachtete die schnell verfliegende, beißend riechende Flüssigkeit. Ich wiederholte den Vorgang auf der anderen Tragfläche.
    *
    Die Kerle in den weißen Laborkitteln. Der Kampfpilot in seinem

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