Das Ende der Welt
nicht, wovon du sprichst. Ich mache doch gar nichts. Aber danach wurde es noch schlimmer! Sie erzählte ihm, wie toll sie seine Band fände, dabei hatte sie seine Band noch nie gehört! Sie hat ihn ständig angefasst und so. Hat ihm ständig die Hand auf die Schulter gelegt und so. Als wir das nächste Mal auf die Toilette gehen, sage ich wieder: Was soll das? Und da sagt sie: Wieso, du bist doch nicht mit ihm zusammen oder so. Als wäre er Freiwild! Er war mein Freund, ein richtig guter Freund, und ich wollte das nie aufs Spiel setzen, verstehst du, aber das heißt doch noch lange nicht …«
Sie sah mich und Tracy hilfesuchend an. Wir nickten. Chloe hatte ganz eindeutig gegen die Regeln verstoßen.
»Wie hast du reagiert?«, fragte Tracy.
»Ich bin nach Hause gegangen«, sagte Cathy. Sie sah traurig aus, so als mache sie alles noch einmal durch. »Und am nächsten Tag hatte ich nach der Schule fünf ellenlange Nachrichten von Chloe auf meinem Anrufbeantworter. Es tut mir so leid, bitte vergib mir, lauter so Müll. Und dann erzählen mir tausend Leute, sie wäre an dem Abend mit ihm nach Hause gegangen. Ein paar Tage später hat Hank es selbst bestätigt. Er sagt, er hätte mit ihr rumgemacht. Heftig. Sie haben an dem Abend heftig rumgemacht und waren vielleicht sogar im Bett.«
»Wow«, sagte Tracy.
»Und Chloe«, sagte ich, »Chloe war der Meinung, er sei Freiwild …«
»Ja, ja, ja«, sagte Cathy, »sie hat Mist geredet. Er wäre bloß ein Typ, warum ich mich denn so aufrege, ich solle mich nicht so anstellen. Ich habe sie angesehen, und es war … Ihre Stimme war total verändert, und ihr Gesicht auch. Ihr Gesicht sah aus, als … als würde es sich auflösen. Als gehörte es nicht mehr zu Chloe. Oder als hätte es Chloe nie gegeben, die echte Chloe, die ich kannte. Versteht ihr mich?«
Tracy sah mich an, und wir nickten beide. Und ob wir verstanden.
Cathy hatte nichts mehr zu sagen, wenngleich sie das nicht vom Reden abhielt. Wir schickten uns an zu gehen.
»Du Fotze«, murmelte die betrunkene Georgia, als wir die Herrentoilette verließen. »Fick dich.«
Ich ging noch einmal zurück und beugte mich vor, bis wir auf einer Höhe waren. Sie schrumpfte auf ihrem Stuhl zusammen.
Ich streckte die Hand aus und griff ihr ins Haar. Ringsum wurde es still. Alles war gedämpft und verlangsamt.
»Nimm deine Pfoten weg, verdammt«, lallte Georgia, »Nimm sie …«
Ich zog mit aller Kraft. Sie rutschte nach vorn und holte mit der flachen Hand aus, aber ich wich ihr mühelos aus. Eine Sekunde später wälzten wir uns auf dem verdreckten Boden und rissen einander an den Haaren. Ich zerkratzte ihr das Gesicht, bis Tracy dazwischenging und mich wegzerrte.
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33
San Francisco
A m nächsten Tag rief ich Josh an, Pauls Kumpel, bei dem ich nach der Trauerfeier übernachtet hatte.
»Claire«, sagte er. »Ich wollte dich längst anrufen.«
»Warum?«, fragte ich.
»Weiß auch nicht«, sagte er. »Ich dachte, wir gehen was trinken oder so.«
Wieder wollte ich fragen, warum, ließ es aber bleiben.
»Klar«, sagte ich. »Kann ich dich mal was fragen? Es geht um Paul.«
»Ja, natürlich«, sagte er, klang aber ziemlich argwöhnisch.
»Ich frage nicht, weil ich mir ein moralisches Urteil bilden möchte, sondern weil ich es wissen muss. Ich unterliege der Schweigepflicht, so wie eine Ärztin. Sag mir einfach die Wahrheit, okay?«
»Wirklich?«, fragte er. »Du bist an die Schweigepflicht gebunden wie eine Ärztin?«
»Auf jeden Fall«, sagte ich, »es ist praktisch dasselbe.«
Das war gelogen.
»Okay«, sagte er, »klar, ich meine, es kommt auf die Frage an.«
»Du hast bereits geantwortet«, sagte ich.
»Scheiße«, sagte er.
»Wer ist sie?«, fragte ich.
»Mensch«, sagte er, »Claire, nun komm schon. Es war völlig unbedeutend. Nur ein-, zweimal. Paul hat Lydia geliebt. Das weißt du.«
Ich saß auf meinem Küchentresen und schüttelte den Rest aus meinem Koksbeutelchen auf die Arbeitsplatte. Mit der Visitenkarte von Jons Gitarrenladen schob ich das Pulver zusammen. Ich rollte einen Fünfdollarschein zu einem Röhrchen zusammen, aber weil mir das auf einmal zu billig vorkam, nahm ich einen der druckfrischen Hunderter, mit denen ich Bix hatte bestechen wollen.
»Claire? Bist du noch dran?«
Ich zog durch den Hunderter eine Line.
»Ein- oder zweimal mit derselben Person?«, fragte ich. »Oder ein- oder zweimal mit zwei verschiedenen Frauen?«
Er schwieg, was so viel bedeutete wie
sowohl als
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