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Das Ende der Welt

Das Ende der Welt

Titel: Das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gran
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Du darfst weder mir noch irgendwem sonst vertrauen. Wir sind alle Arschlöcher. Trau nur den Hinweisen.«
    Und dann fiel es mir wieder ein.
    Nicht vergessen: Der Fall vom Ende der Welt.

[home]
    51
    Brooklyn
    A m nächsten Tag schlief ich bis mittags. Zu spät fiel mir ein, dass es der erste Schultag war. Meine Eltern waren nicht zu Hause. Ich kochte Kaffee, rauchte eine Zigarette und rief Tracy an.
    »Wir haben die Schule vergessen«, sagte ich.
    »Ups!«, sagte sie.
    Gegen zwei Uhr nachmittags kam Tracy rüber. Wir schauten
Hawaii Fünf-Null
und dann
Columbo.
Wir trugen immer noch die Klamotten vom Vorabend und rochen nach dem Hell, nach Blut und Desinfektionsmittel und abgestandenem Bier. Ich machte uns Kaffee mit einem großzügigen Schuss Amaretto aus der Hausbar meiner Eltern, und Tracy grillte uns Käsesandwiches. Gegrillte Käsesandwiches waren ihre Spezialität. Nach den Sandwiches setzten wir uns wieder vor den Fernseher. Wir sahen uns
Sally Jesse Raphael
an und
Columbo
und
Herzbube mit zwei Damen
und
Hart, aber herzlich.
Mrs. Hart wurde entführt. Wieder mal. Max und Mr. Hart konnten sie retten. Welche Überraschung! Die sollten mal sehen, was für Fälle
wir
zu lösen hatten.
    Am Abend liefen wir nach Brooklyn Heights. Wir gingen zu SuSu’s YumYum und bestellten Wan-Tan-Suppe, Hühnchen mit Zitronengras und Mai Tais. Die Wände waren mit kratzigem, rotem Samt beschlagen, und wir saßen auf rot-schwarzen Stühlen.
    »Ich wünschte, wir könnten hier wohnen«, seufzte Tracy. Sie meinte die Einrichtung, die damals schon angenehm retro war, aber ebenso meinte sie die Stille, die freundliche Bedienung, das Essen in Hülle und Fülle. Tracys Vater meinte es gut mit ihr, aber die Küche blieb meistens kalt.
    »Mein Dad ist schon wieder entlassen worden«, sagte sie, als wir fast mit dem Essen fertig waren. Sie starrte auf ihren Teller nieder, auf die Reste von Huhn und Zitronengras und Bratreis.
    Wir wussten beide, was nun kommen würde. Er würde jeden Tag immer noch ein bisschen früher zu trinken anfangen, Tag für Tag, bis er irgendwann durchgehend besoffen war. Dann würde er begreifen, was er da tat, ausnüchtern, sich bei Tracy entschuldigen und sich eine Arbeit suchen. Dann würde er wieder mit dem Trinken anfangen, jeden Tag ein bisschen früher, bis er entlassen wurde.
    »So ein Mist«, sagte ich. »Du kannst gern bei mir wohnen.«
    »Danke. Aber weißt du, ich mache mir Sorgen um ihn. Ob er überhaupt noch isst. Und dann kippt er öfter um. Du weißt schon.«
    Gegenüber vom SuSu’s lag unsere Lieblingsbar mit gepolsterter Tür und Bullaugenfenster, wie in einem alten Film. Wir beschlossen, von Cocktails auf Bier umzusteigen, und bestellten am Tresen zwei große Gennys. Wir rauchten und wählten Frank Sinatra in der Jukebox. Die alten Männer an der Bar stritten über Sport oder Politik oder worüber alte Männer so streiten.
    »Ich verstehe es nicht«, sagte ich, als ich endlich betrunken genug war, um das Thema Chloe anzusprechen. »Ich meine …«
    Ich wusste nicht, was ich eigentlich sagen wollte.
    »Ich weiß«, sagte Tracy, »ich meine …«
    Sie wusste es auch nicht.
    Um Mitternacht gingen wir nach Hause. Wir verabschiedeten uns mit einem unterkühlten Wangenkuss. Zu Hause schlüpfte ich aus meinem Kleid und in ein übergroßes Ramones-T-Shirt. Die Strumpfhose ließ ich an. Ich kletterte in mein Bett und trank Amaretto aus der kleinen Flasche, die ich unter meinem Bett bunkerte. Ich schaute
Unsolved Mysteries
und
Gnadenlose Stadt
an. Ich konnte nicht schlafen.
    Ich dachte an Chloe. Dass Chloe der eine Mensch gewesen war, und Rätsel zu lösen die eine Sache. Dass Chloe uns nicht wollte und dass das Rätsel, ihr Rätsel, nicht von uns gelöst werden wollte.
    Als ob mein Körper innerlich eine Wüste wäre. Ein toter Ort.
    Ich holte meinen Notizblock heraus und schrieb:
Eines Tages wird es mich zu einer großen Detektivin machen. Eines Tages wird es mich zu einer großen Detektivin machen.
    Aber ich war nicht mehr überzeugt. Wenn man der Wahrheit tatsächlich treu ergeben war – wenn die Wahrheit tatsächlich das Wichtigste war –, musste man zugeben, dass es keinen Sinn hatte. Nicht ohne das eine, das ihm Bedeutung verliehen hatte, wenn auch nur ein wenig. Nicht ohne das eine, das dem Ganzen Tragweite gegeben hatte, immerhin ein kleines bisschen. Nicht ohne Rätsel zu lösen.
    Unter meinem Kissen lagen drei Codeinpillen. Ich hatte sie vor Monaten bekommen, als ich mir beim Fall des

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