Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft
andere. Diese Einrichtungen, auf die wir in Kapitel 3
noch näher eingehen werden, hatten eines gemeinsam: Sie liehen von Anlegern, die ihnen ihr Geld kurzfristig zur Verfügung
stellten (zum Beispiel die Erwerber kurzfristiger Schuldtitel wie Commercial Paper). Dieses Geld steckten sie in nicht liquide
und risikoreiche Wertpapiere mit langen Laufzeiten: MBSs, CDOs und andere Anlagen mit mysteriösen Abkürzungen. Als die Panik
das System erfasste, verlangten die Anleger ihr Geld zurück oder weigerten sich, Kredite zu verlängern, und zwangen das Schattenfinanzsystem,
diese komplexen und schwer zu bewertenden Wertpapiere in Notverkäufen abzustoßen.
Im Jahr 2008 beschleunigte sich dieser Prozess noch. Nachdem mehr als 300 Hypothekenverleiher zahlungsunfähig waren, brachen
auch andere, aus der Umgehung der Bankenaufsicht geborene Schattenwesen zusammen: Conduits, SIVs (»structured investment vehicles«)
und andere exotische Zweckgesellschaften, die in keiner Bilanz auftauchten und ebenfalls in den Handel mit hochgiftigen, hypothekenbesicherten
Wertpapieren verwickelt waren. Danach kam der rasche Untergang der großen Investmentbanken der Wall Street, die das Geschäft
einstellen mussten, weil ihr Lebenselixier – die Anleihen mit extrem kurzen Laufzeiten, die als »overnight repo financing«
bezeichnet werden – nicht mehr zur Verfügung stand. Bear Stearns war das erste Opfer, wenig später folgte Lehman Brothers.
Die Investmentbank Merrill Lynch wäre ebenfalls zusammengebrochen, wenn sie nicht von der Bank of America übernommen worden
wäre. Goldman Sachs und Morgan Stanley überlebten nur, weil sie in Bankholdings umgewandelt wurden und so Anspruch auf Kredite
der Notenbank hatten; dafür bezahlten sie allerdings den Preis der größeren staatlichen Aufsicht.
|56| Der Run auf das Schattenbankwesen setzte sich mit einem Ansturm auf die 4 Billionen Dollar schwere Branche der Geldmarktfonds
fort. Dank der Verbindungen zu Lehman Brothers sorgte mit dem Reserve Primary Fund sogar einer dieser vermeintlich sicheren
Fonds dafür, dass ein investierter Dollar keinen Dollar mehr wert war. Dies war ein entscheidender Moment im Verlauf der Panik:
Anleger verfielen in Angst und Schrecken, und es begann ein Ansturm auf die Billionen von Dollars in den Fonds. Um eine Kernschmelze
zu verhindern, musste die amerikanische Regierung eine Bürgschaft für sämtliche Geldmarktfonds und damit eine Art Einlagensicherung
übernehmen.
Doch damit war die Panik noch keineswegs zu Ende. Der Untergang des Schattenbankwesens setzte sich mit dem Zusammenbruch weiterer
exotischer Finanzinstrumente (ARSs, TOBs, VRDOs und einer ganzen Buchstabensuppe von Wertpapieren) fort, mit denen Bund, Staaten
und Gemeinden ihre Ausgaben finanzieren. Diese Märkte kollabierten, als Investmentbanken den Vertrieb dieser Instrumente einstellten.
Damit gingen die Zinsen für Kreditnehmer – selbst für sichere staatliche Einrichtungen – durch die Decke.
Dann kamen die Hedge-Fonds an die Reihe. Der Ausfall der Geldquellen, aus denen sich die Hedge-Fonds mit Tagesgeldern versorgten,
und die Verluste, die viele dieser Fonds im Jahr 2008 erlebt hatten, führten zu einem Ansturm, der Hunderte zur Aufgabe und
andere zum Verkauf eines großen Teils ihrer Anlagen zwang. Das wiederum ließ die Preise für eine Reihe von exotischen Papieren
weiter in den Keller gehen.
Diese Entwicklung nahm im Spätsommer 2008 neue und bedrohliche Ausmaße an, als das gesamte Schattenbankwesen einen Ansturm
auf seine Anlagen erlebte. Lehman Brothers brach zusammen, AIG stand auf der Kippe, und die Notenbank machte das, was sie
schließlich auch in der Weltwirtschaftskrise gemacht hatte: Sie wurde zum letztinstanzlichen Kreditgeber und gewährte einer
neuen Generation von Banken eine Einlagensicherung. |57| Damit konnte sie jedoch nicht verhindern, dass nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers im Herbst 2008 der internationale
Kredit- und Geldmarkt zum Erliegen kam. Der Welthandel stand vor dem Kollaps, weil Unternehmen nicht mehr in der Lage waren,
sich die Geldmittel zu beschaffen, die sie benötigten, um Güter von einem Land ins andere zu transportieren.
Zum Jahresende hatte sich die Krise weit über die Grenzen der Vereinigten Staaten ausgedehnt und Länder wie China, Japan,
Irland und Island erfasst. Schuld war allerdings nicht nur die weltweite Kreditklemme. Schuld waren auch hausgemachte Probleme.
Viele
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