Das Ende des großen Fressens - · Wie die Nahrungsmittelindustrie Sie zu übermäßigem Essen verleitet - · Was Sie dagegen tun können
schmeckt. Damit widerspricht er dem traditionelleren Immer-eins-zu-einer-Zeit-Evaluationsansatz, bei dem Ernährungsberater zuerst den richtigen Süßegrad festlegen, dann die Salzmenge und so weiter. Für Moskowitz ist das »nicht unbedingt der Königsweg zu unwiderstehlichen oder allgemein akzeptierten Produkten«.
In der lukrativen, wettbewerbsgeprägten Welt der Lebensmitteloptimierung
winkt ein immenser Profit–wenn die Leute ein Produkt kaufen wollen. »Wenn man aus den unterschiedlichen Zutaten das Optimum erzeugt«, so Moskowitz, »besteht eine reelle Chance, dieses Arsenal aus chemischen und physischen Inhaltsstoffen in ein erfolgreiches Produkt zu verwandeln.«
Es gab noch mindestens einen weiteren Grund, weshalb ich über das Material vom Symposium in Harrogate so froh war, und zwar das Poster von Wilma den Hoed und E. H. Zandstra, das die Frage stellte: »Was macht Lebensmittel begehrenswert?« [Ref 96] Die beiden Wissenschaftler erforschen für Unilever, den europaweit größten Konzern für Konsumprodukte, die Wahrnehmung und das Verhalten der Konsumenten. Zur Zielsetzung ihrer Arbeit fanden sie klare Worte: »Für Produktentwickler ist es interessant, Lebensmittel mit Bestandteilen zu versetzen, die das Begehren der Verbraucher sowohl kurzfristig als auch langfristig erhöhen.«
Zusätzliche Faktoren, um die Begehrlichkeit zu erhöhen? Das entspräche tatsächlich den Absichten der Industrie. Den Hoed und Zandstra baten zu diesem Zweck niederländische Verbraucher, unmittelbar nachdem sie einen starken Wunsch nach einem bestimmten Produkt verspürt hatten, einen Fragebogen auszufüllen. Außerdem schlossen sie die Probanden zu Themengruppen zusammen, in denen sie die sensorischen Eigenschaften von Speisen ermittelten, die ihnen schmeckten.
Es dürfte niemanden überraschen, dass die Testpersonen Produkte mit einem hohen Kalorien- und Fettgehalt bevorzugten. Außerdem führten sie typische sensorische Merkmale an, beispielsweise eine Doppelkonsistenz (stellen Sie sich ein Stück
Schokolade vor, das außen fest und in der Mitte fruchtig weich ist), ein spezieller Geschmack (wie bei einer stark gewürzten Sauce) oder ein Geschmack mit zwei Komponenten (zum Beispiel süß und würzig). Die Verbraucher erklärten auch, dass die Speisen, die sie sich wünschten, ihre Stimmung positiv beeinflussten, entspannten und Energie lieferten.
Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass der Verbraucher auf die Dauer Lebensmittel kauft, mit denen er zwei Merkmale verbindet: »Einzigartige Geschmacksmerkmale … und erlernte Eigenschaften, welche die Stimmung positiv verändern.«
18 | Mehr Schein als Sein
Chemische Aromastoffe sind eine weitere Geheimwaffe aus dem Arsenal der Nahrungsmittelkonzerne, mit deren Hilfe Lebensmittel hyperschmackhaft gemacht werden. [Ref 97]
Als ich beim Jahrestreffen des Institutes der Lebensmitteltechnologen in New Orleans im Kongresszentrum herumspazierte, kam ich am Stand einer Firma vorbei, die sich auf die Herstellung solcher chemischer Geschmacksstoffe spezialisiert hatte. Das Standpersonal reichte mir eine Eisschokolade, und schon der erste unwahrscheinlich schmackhafte Schluck verriet mir, dass dies etwas Besonderes war. Der Geschmack schien auf der Zunge zu explodieren. Er erinnerte mich an eine unvergessliche Schokolade, die ich vor Jahren getrunken hatte. Dieses Markenzeichen des Restaurants Serendipity in Manhattan ist angeblich nach einem Geheimrezept aus vierzehn Spitzenkakaos gebraut.
Die Zutaten in dem Eisgetränk auf dem Lebensmitteltechnologiekongress waren eine ganz andere Geschichte, denn dieses Produkt enthielt Schokoladentoffee-Karamell-Aroma, Kristallzucker, Kakaopulver, Trockenmilchpulver, Traubenzucker, Schlagsahne und Salz–Schlüsselkomponenten der Schmackhaftigkeit, die durch künstliche Aromen zusammengehalten wurden.
»Wie viel Kakaopulver steckt da drin?«, möchte ich von der Lebensmittelwissenschaftlerin am Stand wissen.
»Ganz wenig«, antwortet sie. Der Hersteller durfte Kakaopulver als Inhaltsstoff auflisten, weil tatsächlich etwas drin war, doch zum Geschmack trug es wenig bei. Den erzeugt die moderne Chemie viel besser.
»Wir leben davon, dass wir einen bestimmten Geschmack vermitteln, auch wenn diese Zutat gar nicht drin ist«, fügt die Dame hinzu.
Ich war gerade einem weiteren elementaren Prinzip der modernen Nahrungsmittelindustrie begegnet. Neben Zucker, Fett und Salz beinhaltet vorgefertigte Nahrung heute in hohem Maße künstliche
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