Das Ende ist mein Anfang - Ein Vater ein Sohn und die grosse Reise des Lebens
unterschwellige Bedürfnis nach etwas anderem, etwas, was nicht Materie wäre. Und die chinesische Politik in all ihren Aspekten, die mir durchaus gefielen, war Materie pur.
Wie ich dir erzählte, hatte ich als junger Mann zwei große Vorbilder: Gandhi und Mao. Maos Bild bröckelte bereits, aber Gandhi war immer noch ein Mythos für mich. Ich las ein wenig über Indien, wenn auch nicht wirklich intensiv, und spürte eine Faszination, die ich später oft mit den Worten auszudrücken versucht habe: „Wer Indien liebt, der versteht, was ich meine …“Indien hatte etwas, was anders war. Klar, auch in China ist alles anders, die Chinesen sind gelb, fahren mit dem Fahrrad, machen alles anders als wir. Und doch sind sie uns im Grunde ziemlich ähnlich. Die Inder hingegen sind wirklich anders, im positiven wie im negativen Sinne. Weißt du noch, wie wir aus dem Ashoka Hotel in Delhi kamen und du von einem Sikh mit einem großen Turban angesprochen wurdest, der meinte: „Ich werde dir den Namen deines Großvaters nennen“?
FOLCO: Ich war vollkommen verblüfft. Er öffnete einen zugeklebten Umschlag, zog einen Zettel heraus und darauf stand „Gerardo“. Was das wohl für ein Trick war?
TIZIANO: Das wüsste ich auch gern! Durch die Straßen liefen Elefanten, und dann fuhren wir die Affenstadt besichtigen, eine alte Stadt wenige Kilometer außerhalb von Delhi, deren Bewohner von einem ganzen Heer von Affen vertrieben worden waren. In China hätten sie die einfach alle aufgegessen! Nicht weit davon lag das Dorf der Schlangenbeschwörer, das Zentrum aller Schlangenbeschwörer Indiens. Da sahen wir den ganzen Nachmittag zu, wie die Kobras geohrfeigt wurden, damit sie aufwachten. Aber das war nicht der springende Punkt. Es ging mir um dieses Andere, das noch viel „anderer“war als das Andere in China.
Am Abend meines Geburtstags gingen wir ins Moti Mahal essen, ein Restaurant in einem offenen Hof aus gestampfter Erde in der Altstadt von Delhi. Auf einer Lehmbühne wurde indische Musik gespielt, mit mehreren Tablas, einem Harmonium und wunderschönem Frauengesang - so etwas hatte ich noch nie gehört! -, und darunter mischten sich die Rufe der Geckos und das Zirpen der Grillen. Ich stand auf und hielt eine Rede: Heute werde ich vierzig, bin nun „auf meines Lebensweges Mitte“angekommen und bis hierher gereist, um die Samen für mein zukünftiges Leben in Indien zu säen. Deshalb hatte ich euch alle mit hierher genommen: Hier lag meine Zukunft.
Ich brauchte dann noch sechzehn Jahre, bis es soweit war, aber ich träumte immer von Indien. Auf der Reise für Fliegen ohne Flügel wurde mir mehrmals vorhergesagt: „Du wirst in ein anderes Land gehen …“, der Wahrsager in Kentung sagte sogar: „Noch in diesem Jahr wirst du umziehen.“Aber das war unmöglich, denn der SPIEGEL hatte bereits einen indischen Mitarbeiter in Delhi, daher war für mich kein Platz. Kurz darauf war das Buch fertig und ich fuhr nach Hamburg, wo ich zum Chefredakteur bestellt wurde: „Terzani, wir wissen, dass Sie seit Jahren an Indien denken. Die Stelle dort ist frei geworden. Haben Sie Lust?“
Peng! Auf einmal war ich da.
Er stellt mir eine Tasse Tee hin.
Trink, er ist wirklich gut.
Gleich nach meiner Ankunft wurde ich von der Times of India interviewt. Sie wollten wissen, wie es kam, dass ein Journalist mit meiner Karriere - Vietnam, China, Japan - nicht als Korrespondent nach Washington ging. In Indien arbeiteten vor allem Freelancer, Anfänger, die Erfahrungen für ihre zukünftige journalistische Laufbahn sammelten. Bei mir war es genau andersherum: Ich ging am Höhepunkt meiner Karriere nach Indien. Ich wollte dort Wurzeln für ein neues Leben schlagen.
FOLCO: War Indien denn für einen Journalisten nicht interessant?
TIZIANO: Nein, im Grunde nicht. Für mich aber bedeutete es eine große Wende. Ein paar Jahre lang tat ich meine Arbeit, dann verlor ich den Faden. Den journalistischen, meine ich. Indien ist der einzige Ort, über den einige meiner Artikel nie erschienen sind, gleich der erste zum Beispiel.
Mein Herz stampft wie eine riesige Presse - bumm, bumm, bumm.
Der SPIEGEL wollte jemanden, der über den Wirtschaftboom in Indien schrieb, in diesem Land, das dabei war, zusammen mit China zum größten Markt der Zukunft zu werden. Doch da waren sie auf dem Holzweg, denn das interessierte mich einfach nicht! Lieber fuhr ich durch die Wüste Rajasthans und schrieb über einen Tempel, in dem Ratten angebetet wurden.
FOLCO: Was
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